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Zeit für Eisblumen

Zeit für Eisblumen

Titel: Zeit für Eisblumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Koppold
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mir. Was soll das denn heißen?“, zischte ich. Doch auf der anderen Seite herrschte Stille. Sam hatte mich weggedrückt. Das konnte er doch nicht machen. Ich wählte seine Nummer. So einfach kam er mir nicht davon.
    „The person you‘ve called is temporary not available“, sagte eine Frauenstimme am anderen Ende der Leitung. Ich atmete scharf aus und starrte einige Augenblicke auf das Display. Dann schleppte ich mich zu Paul ins Zimmer.
    „Da!“, sagte er freundlich und hielt mir einen Bauklotz vor die Nase.
    „Danke.“ Mit einem gezwungenen Lächeln nahm ich ihn entgegen und ließ mich zu ihm auf den Boden sinken.
    Nachdem ich ihm etwas zu essen gegeben und ihn ins Bett gebracht hatte, setzte ich mich an den Küchentisch und kaute lustlos auf meiner Mango herum. Jetzt, wo mich die Stille der leeren Räume verschluckte, fühlte ich mich elend und einsam und meine überzogene Reaktion vorhin im Restaurant kam mir auf einmal unglaublich albern vor. Bestimmt würde Sam jetzt zu Monika gehen, um sich trösten zu lassen. Er gefiel ihr. Das hatte sie ihm deutlich zu verstehen gegeben. Er gefiel den meisten Frauen. Selbst Mia fand, dass ich mit ihm einen guten Fang gemacht hatte. Und das lag nicht nur an seiner durchtrainierten Figur und den blauen Augen. Sam war freundlich. Man konnte sich auf ihn verlassen. Er kümmerte sich liebevoll um Paul. Nur zwischen uns lief alles schief.
    Schon früher hatte ich an einigen Abenden überlegt, die Angst in mir durch Rotwein zu mindern, doch die Vernunft sagte mir, dass Alkohol als Problemlöser in meiner Situation keine gute Idee sei. Doch nun griff ich zur Tequillaflasche, mixte mir eine Margarita und nahm sie mit auf den Balkon.
    Mittlerweile war es dunkel geworden und außer dem Brummen der Autos war kein Geräusch zu hören. Mit einem Anflug von Sehnsucht dachte ich an vergangene Sommerabende, an leise Musik, den Geruch von Grillfleisch und das gedämpfte Gemurmel, das von Nachbarbalkonen oder der Straße zu mir herüber drang. Ich stützte mich auf das Geländer, nahm einen langen Schluck des bittersüßen Getränkes und blickte hinaus in die tanzenden Lichter der Stadt.
    15 Jahre lag es zurück, dass ich von Marzling nach München gezogen war. Gegen den Willen meiner Mutter, die meinte, ich könne zu Hause wohnen bleiben und jeden Tag mit der S-Bahn zur Uni fahren, so wie Helga es tat. Doch ich wollte abends mit einer Flasche Wein am Gärtnerplatz sitzen, mich mit meinen Büchern zum Lernen in den Englischen Garten verziehen, einen H&M zu Fuß erreichen und nahm es dafür gern in Kauf, neben meinem Studium in Restaurants und Fitnessstudios zu jobben. Es war die richtige Entscheidung gewesen. Und obwohl es mittlerweile schon so lange her war, konnte ich mich immer noch an meinen ersten Morgen erinnern, als ich in meinem winzigen WG-Zimmer in Schwabing am Fenster stand, über die Dächer von München in einen wolkenlosen, blauen Himmel schaute und in der Luft der Geruch von Aufbruch lag.

    Am nächsten Tag wurde ich durch Pauls lautes Jammern geweckt. Ich lag angezogen auf der Couch, auf dem Tisch stand eine halb leere Tequilaflasche, daneben zwei Tetrapaks Orangensaft. Mein Kopf dröhnte, meine Augen schmerzten und meine Zunge lag pelzig und viel zu schwer in meinem Mund. Unsicher torkelte ich in Pauls Kinderzimmer. Als er mich sah, hörte er sofort auf zu weinen, sein kleiner Mund verzog sich zu einem breiten Lachen und er streckte mir seine Arme entgegen.
    „Guten Morgen, mein Süßer.“
    Ich nahm Paul heraus und ließ mich benommen auf den blauen Wippstuhl sinken, den Sam mir vor der Geburt geschenkt hatte, damit ich ungestört stillen konnte.
    Sam!
    Ich schoss so abrupt nach oben, dass Paul leise protestierte und lief ins Schlafzimmer. Das Bett war ordentlich gemacht, auf dem Boden lagen die gleichen Klamotten verstreut wie am Tag zuvor. Auf der Kommode im Flur fand ich mein Handy. Keine Nachricht von ihm. Auch auf dem Küchentisch lag kein Zettel. Sam schien die letzte Nacht woanders geschlafen zu haben. Woanders! Mein Gehirn weigerte sich, diesen Gedanken in voller Tragweite zu erfassen.
    In diesem Moment klingelte das Telefon. Ich stürzte ins Wohnzimmer und hob zitternd ab.
    „Überraschung!“

Als ich um halb zwölf an unserem Treffpunkt, einem kleinen Parkplatz fünf Kilometer außerhalb von Freising, ankam, hing der Nebel immer noch schwer in den Baumwipfeln und legte sich wie ein feuchtes Handtuch über Gesicht und Haare. Nina war bereits da. In engen

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