Zeit für Eisblumen
wenn ich irgendwann einmal die Zeit dafür finden würde, sie in Berlin zu besuchen.
Kurz bevor wir die kleine Waldkapelle St. Clemens erreichten, beschloss ich, sie nicht länger auf die Folter zu spannen, und wir steuerten auf eine Bank zu, die vor einem umgestürzten Baum stand. Krähen stoben kreischend auf, als wir uns näherten. Ich holte Luft und erzählte Nina, was sich in den letzten vier Wochen zugetragen hatte. Angefangen bei Lillys Hochzeit, über die erste Panikattacke während meines Rosendrehs, bis zu dem verpatzten Beitrag und meiner Sprudelattacke auf Sam.
„So, jetzt weißt du alles.“
Nina zog mich fest an sich. „Du Arme.“
Ich ließ meinen Kopf auf ihre Schulter sinken. „Das ist doch nicht fair. In meinem Leben geht auf einmal alles schief. Alles!“ Ich zog geräuschvoll meine Nase hoch und Nina reichte mir ein Papiertaschentuch. „Meinst du, das ist eine Art Strafe?“
„Eine Strafe? Wofür?“
Ich blickte sie müde an. „Für David.“
„Quatsch!“
„Ich denke ganz schön oft an ihn.“
Nina schnaubte. „Ja und? Kannst du dich noch an Philipp erinnern, den heißen Typen von der Bundeswehr, den ich auf dem Oktoberfest kennen gelernt hatte?“
„Den aus Norddeutschland? Mit der Haitätowierung?“
Sie nickte. „Ich ärgere mich immer noch darüber, dass ich damals kein Kondom in der Tasche hatte und es nicht zum entscheidenden Akt zwischen uns gekommen ist.“
Ich sah sie verständnislos an.
„Was ich damit sagen will“, erklärte Nina, „ist, dass ich das Ereignis verkläre. Ich denke, dass ich den besten Sex meines Lebens verpasst habe, dabei könnte es sein, dass Philipp mich im Bett Mutter nennt oder während des Orgasmus anfängt zu miauen.
Du hast eine heiße Nacht mit David verbracht und am nächsten Morgen bist du nach Hause gefahren. Du hast nie seine schmutzigen Unterhosen gewaschen und dich nie mit ihm darüber gestritten, wer Paul abduscht, wenn ihm die Babykacke aus dem Halsausschnitt quillt. Natürlich denkst du, dass David viel toller ist als Sam.“
„Aber ich hätte es ihm sagen sollen.“
„Nein.“ Nina schüttelte den Kopf. „Niemandem wäre damit gedient gewesen. Du hast alles richtig gemacht.“
„Anfangs dachte ich das auch. Aber jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Vielleicht will mich das Schicksal für meinen Seitensprung bestrafen.“
„Was für ein Blödsinn! Hast du dich zu oft mit Milla unterhalten?“
„Milla glaubt nicht ans Schicksal, sie glaubt an göttliche Fügungen.“
„Was auch immer.“ Nina sah mich fest an. „Weißt du noch, wie es mir erging, kurz, nachdem ich mich von Fred getrennt habe? Meine Mutter hatte einen Knoten in ihrer Brust und ich habe mein Auto zu Schrott gefahren. Aber irgendwann ging es wieder aufwärts. Die Chemo schlug an, den Schaden am Auto hat die Versicherung bezahlt und ich bin nach Berlin gezogen.“
„Am liebsten würde ich mit dir tauschen.“
„Wirklich?“ Nina verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse. „Ich bin Single, arbeite 50 Stunden in der Woche und lebe mehr oder weniger von meinen Ersparnissen. Bist du sicher, dass du das willst?“
„Aber es war doch einmal anders. Als wir noch in der Schule waren oder als wir studiert haben. Wann zum Teufel hat es angefangen, dass wir nur noch irgendwie über die Runden kommen?“
Nina lächelte. „Als wir erwachsen geworden sind und uns das echte Leben eingeholt hat.“
Ich massierte meinen schmerzenden Nacken. „Wenn ich gewusst hätte, wie wenig Spaß es macht, erwachsen zu sein, hätte ich mit 16 niemals meinen Schülerausweis gefälscht und mich zwei Jahre älter gemacht.“
Nina nahm mich in den Arm. „Ach Süße, jetzt sieh doch alles nicht so pessimistisch. Das Leben ist nicht immer schön. Du hast in den letzten Monaten ein paar Mal Pech gehabt. Na und? Das geht vorbei und dann kommen richtig fette Zeiten.“
„Wie denn?“ Ich lachte humorlos. „Zwischen Sam und mir läuft es seit Monaten äußerst bescheiden, wahrscheinlich hat er mich letzte Nacht mit Daniela Katzenberger betrogen, als Mutter bin ich nicht der Hit und mein Chef hat mir geraten, mich bis Ende des Jahres krankschreiben zu lassen. Es müsste ein Wunder geschehen, damit alles wieder gut wird.“
„Erstens bist du eine ganz tolle Mutter …“
„Nein“, unterbrach ich sie. „Du weißt doch, was ich am Anfang für Probleme hatte …“
„Mein Gott, Fee. Ich kann es nicht mehr hören. Zieh endlich einen Schlussstrich. Es ist vorbei. Ja, du
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