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Zeit für Eisblumen

Zeit für Eisblumen

Titel: Zeit für Eisblumen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Katrin Koppold
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ihr wütend das Glas aus der Hand und zwang sie, mir in die Augen zu schauen.
    „Ja, ich denke darüber nach“, stieß Milla mit einem langen Seufzer aus.
    „Ich fasse es nicht.“ Am liebsten hätte ich ihr den Rotwein ins Gesicht gekippt. „Du denkst darüber nach? Weil er angefangen hat, Golf zu spielen und deine Gartenzwerge golden ansprüht. Aber was ist mit Helga, Lilly, Mia und mir, wenn du ihn verlässt. Wir haben keine Familie mehr. Bald ist Weihnachten. Wie sollen wir feiern, wenn ihr nicht mehr zusammen seid?“
    Meine Mutter runzelte die Stirn. „Natürlich habt ihr noch eine Familie. Dein Vater und ich trennen uns, keiner von uns stirbt. Und wegen Weihnachten. Fee, du bist erwachsen. Du wirst es überleben, wenn wir dieses Jahr an Heiligabend nicht alle zusammen in trauter Eintracht um den Weihnachtsbaum sitzen und ‚Süßer die Glocken nie klingen´ singen.“
    „Das hört sich so an, als würdest du überhaupt nicht mehr darüber nachdenken, sondern so, als hättest du dich schon entschieden“, jammerte ich.
    „Noch ist überhaupt nichts entschieden.“
    „Und wie ist die Tendenz? Eher für oder eher gegen ein weiteres Fortbestehen eurer Ehe?“ Ich merkte, dass ich mich kindisch benahm, aber ich konnte nicht anders. Das Ganze war ein einziger Albtraum. Die Panikattacken, die Trennung von Sam, der Ärger auf der Arbeit. Nun auch noch das! Meine Familie, das Einzige, das mir in dieser beschissenen Zeit zumindest ansatzweise Halt gegeben hatte, schien nun auch noch entzweizubrechen. Nicht, dass meine Mutter und mein Vater sich in den letzten Jahren besonders gut verstanden hätten, sie benahmen sich schon eine ganze Zeit lang eher wie Peggy und Al Bundy aus „Eine schrecklich nette Familie“ als wie Jonathan und Jennifer Hart, dem stets verliebten Paar aus der 80er-Jahre-Serie „Hart aber herzlich“. Aber mit zwei Eltern, die unter einem Dach wohnten und sich ständig stritten, konnte ich leben. Mit zwei Eltern, die verschiedene Wohnorte einnahmen und dadurch ihren zerrütteten Zustand amtlich machten, dagegen nicht.
    „Es ist im Moment alles einfach sehr, sehr schwierig“, sagte Milla ungeduldig. Sie schien keine Lust mehr zu haben, länger auf diesem Thema herumzureiten.
    „Schwierig? Schwierig sagst du?“ Ich merkte, dass meine Stimme ins Hysterische abzurutschen drohte. „Aber du kannst doch nicht einfach alles hinschmeißen, nur weil es zurzeit ein bisschen schwierig ist.“
    „Warum nicht?“ Milla sah mich aus schmalen Augen an. „Du hast es doch auch getan, oder etwa nicht?“

„Wo willst du hin?“, fragte ich Milla, die mit einem Cityrucksack über der Schulter in der Lobby saß.
    „Ich komme mit nach Achill Island. Hatten wir das gestern nicht so ausgemacht?“
    „Ich hätte nicht gedacht, dass du bei diesem Wetter freiwillig nach draußen gehst. Wolltest du keinen Wellnesstag einlegen?“
    Zwar regnete es nicht mehr, aber durch die Glasfenster des Hotels konnte man sehen, wie sich die Bäume auf der anderen Straßenseite heftig unter der Wucht des Sturmes zur Seite bogen.
    „Ins Schwimmbad und in die Sauna kann ich auch gehen, wenn wir zurückkommen. Und einen Massagetermin habe ich erst morgen früh bekommen. Die Frau an der Rezeption hat uns bereits ein Taxi gerufen. Vom Bahnhof aus können wir mit dem Bus weiterfahren. Wolltest du Paul nicht auf unseren Ausflug mitnehmen?“
    „Nein“, sagte ich unbehaglich. „Er hat gestern schon so lange Zeit im Bus gesessen. Die Kinderbetreuer hier im Hotel sind sehr nett und es waren noch fünf andere Kinder in seinem Alter da. Dort hat er bestimmt mehr Spaß, als wenn ich ihn mit nach Achill Island schleppe.“
    Paul, der Fremdbetreuung durch meine Arbeit gewöhnt war und andere Kinder liebte, schien tatsächlich nichts dagegen gehabt zu haben, in dem großzügigen, hellen Raum abgegeben zu werden, denn er war sofort auf eine Kiste mit Bauklötzen zugekrabbelt und hatte mich keines Blickes mehr gewürdigt. Ich fühlte mich trotzdem nicht wohl dabei, ihn den ganzen Tag in der Obhut von fremden Leuten zu lassen. Aber ich wollte David nicht gleich bei meinem ersten Besuch mit meinem Sohn konfrontieren.
    Die letzten Wochen hatte ich den kleinen Mann fast jede Minute um mich gehabt. Und obwohl ich es bis vor kurzem noch kaum für möglich gehalten hatte, verbrachte ich gerne Zeit mit ihm. Auch wenn er mir manchmal den letzten Nerv raubte. Mir graute es bei dem Gedanken, ihn ab Mitte Januar unter der Woche kaum noch zu

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