Zeit für Plan B
abzulegen.«
»Sind wir deswegen denn egoistisch?«, fragte Lindsey. »Ein bisschen vielleicht. Aber ich glaube nicht, dass Egoismus grundsätzlich ungesund ist. Es kann nur sein, dass…«
»Stopp!«
»Was? Ich sage doch nur …«
»Nein, wirklich. Stopp.« Sie zeigte aus dem Fenster, und ich sah, dass wir eben an dem Kürbisstand vorbeifuhren. Ich bremste und bog auf den Parkplatz ein, und der Kies knirschte und platzte wie Geschützfeuer unter den Reifen des Taurus hervor. »Also«, sagte sie, nachdem ich den Motor abgestellt hatte. »Dann war es eine Intervention für uns alle.«
»Was soll’s«, sagte ich. »Die Vogelscheuche, der Löwe und der Zimmermann haben Dorothy auch nicht einfach zum Spaß geholfen. Sie hatten alle ihre Gründe, weshalb sie den Zauberer von OZ aufsuchen wollten.«
»Ich hab trotzdem ein paar Schuldgefühle«, sagte Lindsey undblies sich das Haar aus dem Gesicht, während wir aus dem Wagen stiegen.
»Ich auch«, gab ich zu.
»Aber ich fühle mich auch gut mit uns und mit mir selbst.«
»Ich mich auch.«
»Endlich fühlen wir uns gut, und dann sollen wir deswegen Schuldgefühle haben?«
»So ist das Leben«, sagte ich. »Wenn du Sinn für die ironischen Momente hast, wird es jedenfalls nie langweilig.« Sie lächelte, nahm meine Hand und wir gingen hinüber, um uns die Kürbisse anzusehen.
Die Dämmerung senkte sich herab, als wir zum Haus der Schollings zurückkehrten. Noch bevor wir um die letzte Kurve bogen, sahen wir schon hier und da verstreut ein paar Wagen, die kreuz und quer auf dem Seitenstreifen parkten. »Oje«, murmelte Lindsey. Die Menge vor dem Haus war noch einmal erheblich angewachsen, vermutlich da die Schule für den Rest des Tages aus war. Auf der kleinen Grasfläche auf dem Seitenstreifen mussten sich inzwischen über einhundert Schüler drängen, jetzt viele von ihnen in Halloween-Kostümen. Das Thema, fiel mir auf, war
Blue Angel
, wobei die Jungen Lederjacken und ringsum geschlossene Sonnenbrillen trugen, genau wie Jack in dem Film, und die Mädchen traurige Clownsmasken aufgesetzt hatten, als Huldigung gegenüber dem Bösewicht des Films. Irgendwo dröhnten die Stone Temple Pilots aus einem Radiorekorder. Ein paar Jugendliche mit Horrormasken aus Gummi lehnten sich gegen die Polizeibarrikaden und posierten mit einem langen Schild für die Kameras, auf dem stand: »Komm mit uns feiern, Jack.«
»Sieht aus, als ob unser geheimes Versteck Carmelinas neuester Szene-Treffpunkt geworden ist«, sagte ich.
»Meinst du?«
Als wir an der Menge vorbeifuhren, krochen ein paar der Jugendlichen unter den Barrikaden hindurch und rannten genau vor uns auf die Straße, so dass mir keine andere Wahl blieb, als auf die Bremse zu treten. »O mein Gott!«, rief Lindsey.
»Wo ist Jack?«, kreischte eines der Mädchen, das eine traurige Clownsmaske trug. »Was habt ihr mit ihm gemacht?« Ihre Freundin, noch ein Mädchen, das genauso angezogen war, aber eine fröhliche Clownsmaske trug, stellte sich genau vor den Wagen und hielt ein Foto von Jack hoch. Bevor ich reagieren konnte, ertönte ein noch lauteres Kreischen, und Sheriff Sullivan fuhr, aus der entgegengesetzten Richtung kommend, vor. Die Mädchen schrien übermütig auf und flüchteten unter den Barrikaden hindurch wieder zurück. Sullivan fuhr so heran, dass sein geöffnetes Fenster genau gegenüber meinem geschlossenen war. Während er darauf wartete, dass ich meines herunterkurbelte, bemerkte ich, dass unsere kleine Begegnung die Aufmerksamkeit der Menge auf sich gezogen hatte. »Guten Abend«, grüßte Sullivan lächelnd.
»Hallo«, entgegnete ich. Irgendjemand aus der Menge warf mit einem rohen Ei, das mit einem leisen Platschen ein Stück vor unserem Wagen landete.
»Was von Ihrem Freund gehört?«
»Nein.«
Eine Art Sprechgesang wurde in der Menge laut, etwa so, wie man es bei Hockeyspielen hört, und es klang nach etwas wie
»Hau ihn in die Pfanne, Sheriff, hau ihn in die Pfanne«
. Sullivan lächelte. »Ihr Fanclub«, sagte er und deutete auf die Menge.
»Ich nehme an, Sie werden die Menge nicht auflösen«, erwiderte ich.
»Aber nein. Denen wird das in ein paar Stunden langweilig werden. Außerdem haben diese Kinder am Halloween-Abend im Allgemeinen immer irgendwelchen Unfug im Kopf. Es erleichtert mir die Arbeit, wenn ich sie alle hier habe, wo ich sie im Augebehalten kann.« In diesem Augenblick ertönte erneut ein nasses, knirschendes Geräusch, und wir beide, Lindsey und ich, duckten uns
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