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Zeit für Plan B

Zeit für Plan B

Titel: Zeit für Plan B Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Tropper
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vielleicht anrufen und sich bedanken, aber dann fiel mir ein, dass ich schließlich nie die Chance gehabt hatte, ihr meinen Namen zu sagen, was hieß, dass sie meine Nummer nicht in dem Schulverzeichnis suchen konnte. Ich wusste ihren Nachnamen auch nicht, was mir die Mühe ersparte, davor kneifen zu müssen, sie anzurufen. Ich versuchte, in allen Lokalen herumzuhängen, in denen ich sie früher schon gesehen hatte, aber sie tauchte nie auf.
    Es war ein Sonntagmorgen, und ich hatte die Vorstellung, diese Übernachtung könnte sich noch zu irgendetwas ausbauen lassen, schon fast aufgegeben, als ich aus meinem Fenster blickte und sie im Schnee sitzen sah. Es war der erste Sturm dieses Winters, und als ich aufwachte, war der Washington Square Park bereits untereiner Handbreit Schnee versunken. Die Straßen waren bedeckt, parkende Autos zugeschneit, und der Schnee rieselte noch immer, in dichten, schweren Flocken. Der Park lag verlassen da. Und dann sah ich sie, auf einer Bank unter meinem Fenster, wie sie einfach dasaß und in den Park hinausstarrte. Selbst aus dem sechsten Stock und ohne dass sie mir das Gesicht ganz zugewandt hatte, wusste ich, dass es Lindsey war. Ich warf eine Jacke über, schlüpfte in Jeans und Docksiders und rannte nach unten, voller Panik, sie könnte verschwunden sein, bevor ich unten ankam. Aber als ich in die Lobby trat, saß sie noch immer da, in einer schwarzen Cordhose und einer schwarz-roten Skijacke, das blonde Haar zu einem lockeren Pferdeschwanz zusammengebunden. Ich war schrecklich underdressed, sowohl für den Anlass als auch für das Wetter. Mein Entschluss geriet ins Wanken, eher aus Gewohnheit als aus irgendeinem anderen Grund, aber dann rief ich mir in Erinnerung, dass ich schließlich dabei gewesen war, wie sie sich die Seele aus dem Leib gekotzt hatte, und wenn Kotzen kein gesellschaftlicher Gleichmacher war, dann doch wohl gar nichts.
    »Hi«, sagte ich und trat auf die Bank zu. »Kennst du mich noch?«
    Sie sah auf und sagte »Hi«, was nicht gerade eine Antwort auf meine Frage war.
    »Wir haben zusammen gekotzt?«, sagte ich. »Du bist über Nacht geblieben?«
    »Ich kann mich erinnern«, sagte sie grinsend. Sie hatte ein einzelnes Grübchen. »Gott, war ich zugedröhnt.«
    »Hast du was dagegen, wenn ich mich zu dir setze?«, fragte ich mit gekünsteltem Selbstvertrauen.
    »Überhaupt nichts.«
    Ich setzte mich, und ein paar Minuten sahen wir gemeinsam zu, wie der Schnee fiel. Wir schienen die Einzigen zu sein, bis auf ein paar Typen, die am anderen Ende des Parks eine Schneeballschlachtmachten. Ihr Haar war mit dicken Schneeflocken besprenkelt, und ich spürte, wie meines allmählich ebenfalls bedeckt wurde. Das einzige Geräusch war das kaum hörbare, kristalline Flüstern des Schnees, der rings um uns zu Boden fiel. Ich hatte mir noch nie zuvor überlegt, dass Schnee ein Geräusch verursachen könnte.
    »Und?«, sagte ich. »Wartest du auf jemanden?«
    »Nein«, sagte sie. »Ich mag einfach Wetter.«
    »Na ja, da hast du ja Glück. Schließlich gibt’s jeden Tag welches, weißt du?«
    Sie lächelte. »Ich meine, ich mag extremes Wetter. Ich mag Stürme.«
    Jegliche Unsicherheit, die ich vielleicht noch hatte, wurde alsbald zusammen mit allem anderen unter dem rasch fallenden Schnee begraben, und ich schaffte es, mich zu ihr umzudrehen, ihr genau ins Gesicht zu blicken und sie – ohne einen bissigen Kommentar, um mich selbst zu schützen – zu fragen: »Und was magst du sonst noch?«
    Wir saßen etwa zwei Stunden da und unterhielten uns mühelos. Elternhaus, Highschool, Familie, Hauptfächer, Kinofilme. Es war, als würden wir uns gegenseitig ein Handbuch füreinander geben. Der Schnee war wie Wände um uns herum, die uns in ein privates Zimmer einschlossen. Sie beobachtete ihren Atem in der kalten Luft und baumelte lässig mit den Beinen unter der Bank, und bei alledem vergaß ich irgendwann völlig, davon berauscht zu sein, dass ich mit ihr sprach, und fing einfach an, sie zu mögen. Meine Zehen waren in meinen Docksiders gefroren.
    »Ich denke, letztendlich verhält sich immer alles genau wie bei der Peanuts-Geschichte«, sagte sie irgendwann.
    »Was?«, fragte ich. »Wie bei Charlie Brown und Snoopy?«
    »Nein, bei meiner Peanuts-Geschichte.« Sie wandte sich zu mir um und legte ein Bein quer, um sich auf die Wade zu setzen. IhreSchönheit konnte man einfach nicht vergessen. Sie war wie eine warme Flüssigkeit, die sich langsam in meinen Eingeweiden ausbreitete.

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