Zeit für Plan B
schaltete zurück zu Chuck. »So ein Mist«, sagte ich.
»Du hast den Teil verpasst, in dem sie den Fahrer des Schulbusses interviewt haben. Der hat sich lang und breit darüber ausgelassen, wie Jack, wenn er selbst keine Vollbremsung gemacht hätte, sie alle erledigt hätte.«
»Meinst du, es geht ihm halbwegs okay?«
»Es heißt, sein Zustand ist stabil. Ich habe einen Freund, der dort drüben seine Facharztausbildung macht. Ich werde ihn anrufen und fragen, ob er irgendwas rauskriegen kann.«
»Vielleicht wird das Jack ein bisschen wachrütteln«, sagte ich. »Ihn zu der Einsicht bringen, dass er ein Problem hat.«
»Und wie«, sagte Chuck. »Verlass dich bloß nicht darauf.«
Als ich schließlich auflegte, hatte ich nicht mehr die Geduld, zuzusehen, wie Stallone und seine Jungs es mit dem Vietcong aufnahmen. Ich schaltete meinen Computer an und blätterte die ersten paar Kapitel meines jüngsten literarischen Versuchs durch. Seit ich den Job bei
Esquire
hatte, musste ich etwa ein halbes Dutzend Romane in Angriff genommen haben, im Grunde war es alles das Gleiche, lediglich aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, von denen keine richtig funktionierte. Es war, als könnte ich einfach nicht den richtigen Ton finden, das Gefühl emotionaler Trostlosigkeit treffen, das ich gern vermitteln wollte. Ich las Autoren wie Jay McInerny und wunderte mich über die Leichtigkeit, mit der er seine Charaktere und die Stadt selbst mit einem solch dunklen Gefühl beiläufiger Nichtigkeit erfüllte. Ich versuchte nicht, McInerny zu sein. Ich wusste, dass ich nicht genügend Nachtklubs besucht, Models getroffen und Nächte mit hypergebildeten studentischen Freunden verbracht hatte, um mich seinem Thema auch nur annähern zu können.
Aber ich beneidete ihn um seine vielfältige Lebenserfahrung und sein Talent, mühelos aus ihr zu schöpfen, und einem dabei auch noch das Gefühl zu geben, als könnte man sich in seine Figuren hineinversetzen, selbst wenn man es nicht konnte. Da ich selbst nicht einer bestimmten Subkultur angehörte, war ich offenbar außerstande, einen Schauplatz zu entwickeln, auf dem ich meine Figuren ansiedeln konnte. Meine Unfähigkeit, meinem eigenen Leben in Manhattan einen sinnvollen Kontext zu verleihen, wenn auch nur einen trüben und trostlosen, führte dazu, dass ich mich oft isoliert und deprimiert fühlte. Was zum Teufel hatte ich eigentlich die letzten acht Jahre gemacht, und wie wollte ich je irgendetwas Brauchbares zu Papier bringen, wenn ich nicht einmal in der Lage war,auf irgendein bedeutendes Pathos aus meinen eigenen Erfahrungen zurückzugreifen?
Und so war es kaum verwunderlich, dass mir nicht nach Schreiben zumute war. Ich zog mich aus und überprüfte meinen nackten Torso im Badezimmerspiegel; auf was genau, weiß ich nicht. Ich streckte und dehnte mich hier und da ein bisschen, dann fing ich meinen eigenen Blick auf, und auf einmal schämte ich mich ein wenig vor mir selbst und zog mich unter die Dusche zurück. Eine Dusche, das ist für mich mehr als nur ein Ort, um sich wieder einmal den angesammelten Schmutz eines weiteren Tages in New York City abzuwaschen. Es ist eher wie diese Container gegen sensorische Deprivation, in denen Michael Jackson angeblich schläft. Legt mich in eine Badewanne, und nach fünf Minuten werde ich ungeduldig und möchte sie wieder verlassen, aber unter der Dusche könnte ich eine Stunde verbringen. Das ist der Ort, an dem ich am besten nachdenken kann.
Ich dachte über Jack nach, und ich dachte über Lindsey nach. Ich fragte mich bei beiden, ob es irgendetwas gab, was ich für sie tun konnte. Ich dachte über Sarah nach und fragte mich, ob ich traurig war, weil sie gegangen war, oder einfach nur traurig, weil wieder einmal etwas, was eigentlich hätte halten sollen, nicht gehalten hatte. Trauerte ich? Oder war ich nur deprimiert, weil ich es nicht tat? Freundschaft, Liebe, Jugend und Erfüllung. All diese vergänglichen Dinge. Als ich schließlich aus der Dusche kam, sahen meine Fingerspitzen verschrumpelt aus wie Trockenpflaumen, wie die Hände eines älteren Mannes.
7
D as erste Mal, dass ich mit Lindsey sprach, war auf einer Party im Aces and Eights im Winter unseres ersten Jahres auf dem College. Zu der Zeit hatte ich sie bereits seit Wochen beobachtet und war aufgrund meiner Unfähigkeit, mich ihr zu nähern, weniger frustriert als vielmehr resigniert. Jedes Mal, wenn ich sie auf dem Campus sah, sprach sie mit dem einen oder anderen Typen,
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