Zeit für Plan B
hinterherhechten, als Jeremy sagte: »Sie werden heute Abend bei meinem Dad die Maschinen abschalten.« Ich hielt unvermittelt inne und sah wie betäubt zu, als der Ball von der Einfahrt auf den Rasen der Schollings hüpfte und dann gemächlich ausrollte. Der Grund, weshalb Kinder einen oft schockieren, besteht darin, dass sie noch nicht gelernt haben, einen glatten Übergang von einem Thema zum nächsten herzustellen. Sie platzen einfach mit dem heraus, was ihnen gerade durch den Kopf geht.
»Wirklich?«, fragte ich dumpf.
»Ja. Meine Mom sagt, das ist gut, denn wenn er jetzt aufwachen würde, wäre er sowieso nicht mehr derselbe. In seinem Testament hat er geschrieben, dass er nicht mit Maschinen am Leben erhalten werden will.«
»Ich denke, er wusste, was er tat«, sagte ich, während ich mich fragte, was diesem Mann wohl durch den Kopf gegangen sein musste, als er diesen Punkt in seinem Testament festhielt. Vermutlich alles andere als die Tatsache, dass er so bald Anwendung finden würde.
»Ja«, sagte Jeremy. »Irgendwie bin ich froh.« Er sagte es wie ein Geständnis. »Ich wusste eigentlich fast schon, dass er nicht mehr zurückkommen würde, und ich war schon so lange traurig. Wie jeder in meiner Familie. Und es wird allmählich immer schwerer, traurig zu sein, verstehst du? Findest du, das ist etwas Schlechtes?«
»Nein«, sagte ich und dachte darüber nach. »Ich glaube, alle Leute, wenn es ausgeglichene, gesunde Menschen sind, empfinden einBedürfnis zu trauern und fangen dann etwas Neues an. Du und deine Familie, ihr habt jetzt schon so lange getrauert, und weil das Krankenhaus deinen Dad am Leben erhalten hat, konntet ihr nichts Neues anfangen, verstehst du?« Er starrte mich gebannt an, während ich sprach, und irgendwo in seinen Augen sah ich, dass ich ihm die Bestätigung gab, die er dringend benötigte.
»Meine Mutter hat gesagt, Melody und ich sollen beide einen Brief an meinen Dad schreiben, und sie würde sie ihm vorlesen, bevor sie die Maschinen abschalten«, sagte er. »Sie findet, wir sollten nicht dabei sein. Nur sie.«
»Ich finde, das ist eine wirklich schöne Idee«, sagte ich.
»Ja. Ich hoffe nur, dass Melody nicht völlig durchdreht. Sie kann echt ein Mordsdrama machen.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
Wir standen da, im schwindenden Licht des Tages, und blickten auf unsere Nike-Turnschuhe hinunter, während wir über das Leben und den Tod nachdachten. Ich sah Jeremy an, und ich empfand ein überwältigendes Gefühl von Wärme und Bewunderung für diesen kleinen Jungen, der so viel Trauer und Stress mit sich herumtrug und sich standhaft weigerte, sich davon lähmen zu lassen, wie es mir mit Sicherheit passiert wäre. »Du bist ein Kämpfer, Jeremy«, sagte ich. »Du schaffst das schon.«
»Ich weiß«, sagte er schlicht. »Ich hoffe nur, meine Mom schafft es auch.«
»Du wirst ihr dabei helfen«, sagte ich. »Ihr werdet euch alle gegenseitig helfen.«
»Ja«, sagte er leise. »Wollen wir einer gegen einen spielen?«
An jenem Abend, dem dritten, den wir in dem Haus am See verbrachten, wurde schließlich über Jacks Verschwinden in den Abendnachrichten berichtet. Ein bedrückter Tom Brokaw erklärte, Jack sei zuletzt von seinem Agenten gesehen worden, nachdem siedrei Tage zuvor im Plaza Hotel in New York eingecheckt hatten. »Die Polizei will zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Mutmaßungen darüber anstellen, ob Shaw möglicherweise Opfer einer Gewalttat wurde«, bemerkte Brokaw, während die Berichterstattung zu einer Pressekonferenz umschaltete, die im 50. Bezirk abgehalten wurde und auf der der Polizeichef eben eine Erklärung abgab. »Heute Nachmittag um zwölf Uhr dreißig wurde Jack Shaw als vermisst gemeldet. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt haben wir keinen Grund zu der Annahme, dass ein Gewaltverbrechen begangen wurde. Das Einzige, was ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt sagen kann, ist, dass sich alle große Sorgen machen und wir uns um die Angelegenheit kümmern.«
Dann war Brokaw wieder da. »Obwohl die Polizei erklärt, dass sie dem Verschwinden des Filmstars nachgehen wird, sagte ein Polizeibeamter unter der Bedingung, dass ihm Anonymität zugesichert wurde, die Polizei neige eher zu der Annahme, dass Shaws Verschwinden drogenbedingt sei. In den letzten Monaten hat Shaws angebliche Drogensucht landesweit für Schlagzeilen gesorgt. Erst kürzlich wurde er wegen Drogenbesitzes und Fahrens unter Drogeneinfluss festgenommen und strafrechtlich verfolgt, wobei er die
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