Zeit für Plan B
näher zu mir herüber. »Es ist doch viel zu schön hier, um jetzt über all das nachzudenken.«
»Was glaubst du, wie es Alison geht?«, fragte ich.
»Sie scheint okay zu sein. Ich glaube, es tut ihr gut, hier oben zu sein. Und ich weiß, es klingt scheußlich, aber ich glaube, diese Beerdigung war gar nicht schlecht für Alison, weißt du? Es hat sie für eine Weile von Jack abgelenkt.«
»Der arme Junge. Das hat er nicht verdient.«
»Jack?«
»Jeremy.« Ich erzählte ihr von meinem Gespräch kürzlich mit ihm.
»Diese Art, auf die du Kinder magst, fand ich schon immer toll«, sagte sie. »Weißt du, ich überlege, ob ich nicht wieder als Lehrerin arbeiten sollte.«
»Wirklich?« Ich sah sie an. »Das ist ja großartig.«
»Na ja, ehrlich gesagt, habe ich es mir schon fertig überlegt. Ich habe mich schon entschieden.«
»Das freut mich«, sagte ich. »Du bist doch gern Lehrerin.«
»Ich nehme an, ich möchte auch ein Hirte sein«, sagte sie und lächelte, so dass die Linien ihrer Wangen perfekte Parenthesen um ihren Mund bildeten.
Wir standen auf und spazierten gemächlich am See entlang, wobei wir achtgaben, keine der schlummernden Gänse zu erschrecken. Immer wieder warf ich einen verstohlenen Blick auf Lindseys Profil und betrachtete, wie das Kirschgloss auf ihren Lippen so perfekt mit den reinen weißen Zähnen harmonierte, wenn sie den Mund aufmachte, um die kühle Luft einzuatmen.
»In deiner Hochzeitsnacht habe ich geweint«, sagte sie auf einmal, ohne Vorwarnung.
»Wie bitte?«
»Du willst, dass ich so etwas noch ein zweites Mal sage?«
»Warum hast du mir das nicht schon früher erzählt?«
»Es ist schlechter Stil, einem verheirateten Mann zu sagen, dass man noch nicht über ihn hinweg ist«, sagte sie mit einem sardonischen Grinsen.
»Selbst wenn du weißt, dass er nie über dich hinwegkommen wird?«
Sie blieb stehen und wandte sich zu mir um. »Was hättest du denn getan, Ben? Ehrlich.«
Ihr Gesicht war von der kalten Luft rosig verfärbt, und als ich sie ansah, umrahmt von den Bäumen und hinter sich das Wasser, da wusste ich, dass ich immer in sie verliebt sein würde. Es war eine Kraft, die mit jenem schlagenden Geräusch der Flügel der Gänse durch meine Adern strömte. »Ich hätte genau das getan, was ich getan habe«, sagte ich. »Ich hätte all meine Energie darauf verwendet, jemanden zu lieben, der nicht du ist. Ich hätte ver geblich versucht, jeden Tag aufs neue, nicht an dich zu denken, und an das, was hätte sein können. Was hätte sein sollen. Ich hätte versucht, mir einzureden, dass es so etwas wie wahre Liebe nicht gibt, bis auf die Liebe, die man selbst in die Hand nimmt, auch wenn ich es besser wusste. Ich hätte Sarah vertrieben, indem ich auf eine erbärmliche Weise so getan hätte, als sei es schon okay für mich, dass sie nicht du ist, wie ich es getan habe, und wir hätten uns letztendlich rasch wieder scheiden lassen, wie wir es getan haben.«
»Du hast dich meinetwegen scheiden lassen?«
»Na ja, deinetwegen, aber versteckt unter einem ganzen Bündel anderer Gründe. Im Grunde genommen hatte ich noch nie die Absicht, irgendjemanden zu heiraten, der nicht du ist.«
Sie lächelte traurig. »Genau das dachte ich auch, als ich erfuhr, dass du heiratest.«
»Na ja, nachdem du gegangen warst …«
Lindsey sah auf ihre Schuhe hinunter, während wir weitergingen. »Ich habe dieses eine Problem«, sagte sie. »Ich misstraue instinktiv jeder Situation, die allzu gut zu klappen scheint. Ich habe keine Ahnung, woher ich das habe, aber ich denke, es hat viel damit zu tun, weshalb wir uns getrennt haben. Irgendetwas in mir rebellierte einfach gegen die Vorstellung, dass es wirklich so leicht sein könnte, den Richtigen zu finden. Es ist, als ob ich eine Filmkritikerin bin, die einen Film über ihr eigenes Leben sieht, und wenn der Plot zu einfach ist, dann ist der Film eben unglaubwürdig.« Sie lachte leise, fast in sich hinein. »Und als du das Thema vor ein paar Tagen zur Sprache gebracht hast, da war es genau dasselbe. Ich war so von Reue erfüllt, so sicher, dass es mit uns beiden für immer aus und vorbei ist, und dann, auf einmal, treffen wir uns entgegen aller Wahrscheinlichkeit hier wieder, sechs Jahre später, bei einer zweiten Chance. Es schien einfach alles zu leicht zu klappen, um wahr zu sein.«
»Komm schon«, sagte ich und wandte mich zu ihr um. »Du musst nur an die richtigen Filme denken. Komplexe Plots sind vielleicht wichtig für Oliver Stone
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