Zeit-Odyssee
retten konnte.
Mit einem entsprechenden Hebel kann man die Welt aus den Angeln heben, aber man braucht dazu einen festen Boden, auf dem man stehen kann. Genau das war während der vergangenen sechs Jahrzehnte die Aufgabe der Nexx-Zentrale gewesen: in der längst vergangenen Prä-Ära eine solide Plattform zu konstruieren, auf der alles weitere aufgebaut wurde.
Und jetzt sah es so aus, als wäre das Unternehmen fehlgeschlagen – durch meine Schuld.
Ich erinnerte mich noch, wie es das erste Mal abgelaufen war. Ich hatte gewartet, bis meine Gelegenheit kam, hatte die Tür aufgestoßen, meine Füße fest auf die Planken gesetzt, gezielt und dem Androiden drei Schüsse in die Brusthöhle gefeuert, bevor er überhaupt merkte, daß sich ein neuer Faktor in die Gleichung geschlichen hatte. Er war gefallen; seine Mannschaft hatte vor Zorn aufgeschrien und mich angegriffen, aber mein Repulsionsfeld hatte sie mir vom Leibe gehalten, bis sie aus Angst vor dieser unsichtbaren Barriere die Flucht ergriff, auf die Galeone zurückkehrte, die Leinen losmachte und die Segel in den Wind drehte, um ins Dunkel der unregistrierten Geschichtsereignisse zurückzusegeln. Während ich die Galeasse – ein mit Spezialausrüstung versehenes, als Segelschiff getarntes Kampfgerät der Nexx-Zentrale – zum Frachttransferpunkt Q-637 brachte, von wo aus sie in die Lagerräume der Nexx-Effektenstation zurückversetzt wurde.
Doch nichts von alledem war geschehen.
Ich hatte die Tür blockiert und so mein anderes Ich an der Ausführung seines Auftrags gehindert, also einen ganzen Abschnitt des wiederaufgebauten Zeitschemas zerstört und die gesamte Strategie der Nexx-Zentrale ins Chaos gestürzt. Der Karg war ungeschoren davongekommen, und ich lag mausetot auf dem Deck.
Während ich gleichzeitig auf den Planken stand, auf meinen Leichnam hinunterstarrte und mir allmählich über die Tragweite der Falle klar wurde, in die ich durch meine eigene Ungeschicklichkeit geraten war.
Einen Nexx-Agenten aus dem Weg zu räumen, ist sehr schwer; er ist kaum umzubringen, kaum außer Aktion zu setzen, denn ihn schützen alle Erfindungen einer weit fortgeschrittenen technischen Wissenschaft.
Gelingt es jedoch, ihn in der unendlichen Schlinge einer nicht realisierten alternativen Realität zu fangen, einer Pseudo-Realität, aus der es keinen Weg in eine Zukunft gibt, die nicht existiert, dann ist er endgültig aktionsunfähig gemacht.
Selbst wenn ich es schaffte, am Leben zu bleiben – höchst unwahrscheinlich, in Anbetracht des Feuers, in dessen Hitze sich die Deckplanken bogen – gab es für mich kein Entkommen mehr, denn die Energie meines persönlichen Transferfeldes war verbraucht, ich konnte keinen Sprung mehr machen. Und mein Sprung hierher war nicht auf den Registrierinstrumenten verzeichnet, denn als ich von der Phantomstation abgesprungen war, hatte ich kein Ziel angegeben. Mein anderes Ich war also jetzt in Erfüllung seiner Pflicht gestorben, war erschossen worden während jener gefährlichen Sekunde, da sein Schild offenstand, damit er selbst den tödlichen Schuß abgeben konnte. Seine Spur war jetzt von den Tafeln verschwunden. Weg mit dem ungeschickten Agenten, der so leichtsinnig war, sich umbringen zu lassen.
Und weg auch mit seinem Double, das die Nase in Dinge gesteckt hatte, die es nichts angingen.
Meine Gedanken kreisten auf der Suche nach einem Ausweg unablässig um diese Situation. Das Ergebnis war mir höchst unangenehm, immerhin aber weit angenehmer als die Aussicht, lebendig gebraten zu werden oder im Meer zu ertrinken.
Mein persönlicher Sprungmechanismus war in meinen Körper eingebaut, auf mich eingestimmt, wenn auch nutzlos, solange ich ihn nicht in der Station wieder aufladen konnte. Sein Duplikat jedoch steckte in dem Leichnam, der zu meinen Füßen lag. Das Schaltsystem des Sprungapparates – von der Antenne bis zum Powerpack – bestand zum größten Teil aus dem Nervensystem des Eigentümers.
Nach höchstens fünf Minuten ohne Sauerstoff traten irreparable Gehirnschäden auf. Vier Minuten mindestens waren inzwischen vergangen, aber das Schaltsystem des Toten mußte eigentlich noch in Ordnung sein. Auf welchen Punkt es sich gerade richtete, war in Anbetracht der drastischen Veränderung der Kausal-Sequenz eine Frage, die ich nicht beantworten konnte. Das hing zu einem gewissen Grade von den Gedanken ab, auf die sich der Verstand des Toten im Augenblick des Todes konzentriert hatte.
Das Deck wurde mittlerweile heiß.
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