Zeit-Odyssee
Säbel traf seinen Kopf. Der Schlag wirkte nicht allzu hart, aber er stürzte blutüberströmt zu Boden. Jetzt strömten die Enterer an mir vorbei, verteilten sich und kreischten dabei wie die Dämonen. Ich klammerte mich ans Deck und versuchte, den Kampfunfähigen zu spielen. Ein großer Kerl mit einem Brustkasten wie ein Faß kam mit einem stark verbogenen Entermesser auf mich zugestürmt; ich rollte mich so weit herum, daß ich meine Mauser packen konnte, zog sie rechtzeitig, jagte ihm zwei Kugeln in die breite, schweißglänzende, behaarte Brust und warf mich zur Seite, während er genau an der Stelle aufs Deck krachte, an der ich kurz zuvor noch gelegen hatte. In dem an Deck herrschenden Chaos waren die Schüsse nicht zu hören.
Ein kleiner Bursche mit nackten Affenbeinen wollte am Vormast hinaufklettern; irgend jemand sprang hinter ihm her, erwischte ihn und zog ihn herunter. Ein anderer flog über die Reling – tot oder lebendig, ich weiß es nicht. Dann rannten sie alle nur noch herum, schrien aus vollem Hals, schlugen mit ihren Entermessern jedoch nicht mehr zu, sondern schwangen sie nur. Lediglich hier und da lagen ein paar Mann wie zerbrochene Spielzeugpuppen, vergessen, außer Gefecht, hielten mit den Händen ihre Wunden zu und flüsterten ihr letztes Gebet.
Und dann sah ich den Karg.
10.
An seiner Identität konnte kein Zweifel bestehen. Für das ungeübte Auge war ein Karg Klasse Eins – die einzige Art, die bei der Zeitstäubung benutzt wurde – von normalen Menschen nicht zu unterscheiden. Mein Auge jedoch war nicht ungeübt. Außerdem kannte ich ihn persönlich.
Es war derselbe Karg, den ich mit einer Kugel im linken Jochbogen in einem Hotelzimmer in Buffalo liegengelassen hatte.
Jetzt aber war er hier, ohne das Loch im Kopf, und kletterte so heil und ganz auf unser Deck herab, als wäre das alles nur ein Scherz gewesen. An den verschmutzten Goldspitzen seiner Manschetten und dem angelaufenen Messinggriff seines Degens erkannte ich, daß er ein Mann sein mußte, der bei den Siegern in hohem Ansehen stand. Vermutlich sogar der Kapitän oder der Kommandeur der Marinesoldaten. Jedenfalls hörten sie auf seinen Befehl, formierten sich zu zerlumpten Reihen und ließen das Kriegsgeschrei.
Jetzt mußten die Einzelheiten für eine systematische Plünderung des Schiffes kommen sowie die Anweisung, jedem, der unglücklich genug war, den Angriff lebend überstanden zu haben, den Gnadenstoß zu versetzen.
Nach meiner Erinnerung an die Zustände in den Gefängnissen spanischer Schiffe jener Zeit war ein schneller Tod der langen Seereise nach Hause, wo doch nur die Galeere wartete, bei weitem vorzuziehen. Gerade begann ich einen ziemlich aussichtslosen Plan zu entwerfen und nahm mir vor, außer Sichtweite zu kriechen und dann auf eine mehr oder weniger günstige Gelegenheit zu warten, da ging die Tür auf, vor der ich lag. Das heißt, jemand versuchte sie zu öffnen, aber ich blockierte sie, so daß sie sich höchstens um fünf Zentimeter bewegte und dann steckenblieb. Irgend jemand in der Kabine warf sich mit Schwung dagegen und begann sich durch den Spalt zu schieben. Ich sah ein gestiefeltes Bein und einen Arm in blauem Ärmel mit Goldknöpfen. Weiter kam er jedoch nicht. Irgend etwas an seinem Gürtel schien am Türbeschlag hängenzubleiben. Der Karg hatte sich beim ersten Geräusch umgedreht. Er starrte eine Ewigkeit herüber, die wahrscheinlich kaum eine Sekunde währte, dann riß er eine hübsche, mit Perlmutt besetzte Radschloßpistole heraus, hob sie bedächtig, zielte …
Die Explosion stand der einer Bombe nicht nach; die Mündung spie Feuer und Rauch. Deutlich hörte ich, wie die Kugel auftraf, ein kräftiges, nasses Klatschen, wie ein Ball, der auf den Handschuh des Fängers trifft. Der Mann in der Tür schwankte, schlug um sich, stürzte heraus und fiel aufs Gesicht. Ein paarmal zuckte er noch, als stoße ihn jemand mit einem spitzen Stock in die Seite, dann lag er still.
Der Karg wandte sich wieder seinen Männern zu und bellte einen Befehl. Die Soldaten knurrten, scharrten unzufrieden mit den Füßen und sahen sich tief enttäuscht auf dem Schiffsdeck um. Dann gingen sie resigniert an die Reling hinüber.
Keine Durchsuchung des Schiffes also, keine Plünderung, lediglich ein schneller Rückzug.
Anscheinend hatte der Karg erreicht, was er wollte.
Nach fünf Minuten war auch der letzte Enterer wieder an Bord des eigenen Schiffes. Der Karg stand in der Nähe des Hecks, geduldig,
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