Zeit-Odyssee
wie es nur eine Maschine sein kann. Er blickte sich um und kam auf mich zu. Ich lag mucksmäuschenstill und gab mir Mühe, so tot wie nur möglich auszusehen.
Er trat über mich und die echte Leiche hinweg und verschwand in der Kabine. Gedämpfte Geräusche drangen heraus, wie sie wohl jemand macht, der alle Schubladen durchsucht und auch den Blick unter den Teppich nicht vergißt. Dann kam er wieder heraus. Ich hörte, wie seine Schritte sich entfernten und öffnete vorsichtig ein Auge.
Er stand an der Luv-Reling und löste gelassen die Schutzhülle von einer Thermex-Bombe. Sie gab ihr übliches Zischen von sich, bis er sie, so lässig, wie man die Olive in einen Martini fallen läßt, durch das offene Luk zu seinen Füßen ins Innere des Schiffes warf.
Dann schritt er über das Deck, packte ein Tau und kletterte mit bewundernswerter Geschicklichkeit auf das Deck seines eigenen Schiffes zurück. Ich hörte ihn – oder einen anderen – einen Befehl rufen. Geräusche eifriger Aktivität klangen herüber; Segel wurden gesetzt; Männer kletterten in die Wanten. Das Sparrwerk der Galeone bewegte sich und löste sich unter Knarren und Krachen aus dem Takelwerk der besiegten Galeasse, das es zum größten Teil zerriß. Das spanische Schiff trieb ab; die Segel füllten sich mit dumpfem Knall. Auf einmal war ich ganz allein und starrte hinter dem feindlichen Schiff her, das unter voller Besegelung mit Rückenwind davonrauschte.
In diesem Augenblick ging unter Deck mit bösartigem Wuff die Thermex-Bombe los. Rauchwolken stiegen aus dem Luk, Flammenzungen leckten hinterdrein. Ich stellte mich mühsam auf die Beine und wankte an die Öffnung, mußte aber sofort die Augen von der sonnengrellen Hölle, die unten tobte, abwenden. Möglich, daß dieser Kahn Stahlwände hatte, aber in 5000 Grad Hitze brannten auch die wie trockener Zunder.
Wertvolle Sekunden lang stand ich und versuchte, wenigstens eine gewisse Logik in das Geschehen zu bringen, während unten das Feuer krachte und spuckte, das Deck schwankte und der Schatten des Hauptmaststumpfes langsam im Halbkreis hin und her über die Planken wanderte.
Der Mann, den der Karg erschossen hatte, lag auf dem Gesicht in einer Blutlache, die Spitzen an seiner Halskrause naß-dunkelrot. Die eine Hand lag unter ihm, die andere hatte er ausgestreckt. Ungefähr einen Meter von seiner leeren Hand entfernt lag ein Revolver.
Mit drei Schritten war ich bei ihm, bückte mich und hob die Waffe auf. Es war eine .01 Mikrojet Nexxischer Herkunft mit einem Griff, der sich perfekt in meine Hand schmiegte.
Das war kein Wunder: Es war meine eigene. Ich betrachtete die Hand, die sie fallen gelassen hatte. Es war meine eigene. Ich tat es nicht gern, aber ich drehte die Leiche um, weil ich das Gesicht sehen wollte.
Es war mein eigenes.
11.
Die Standard-Konditionierung, die nach jedem Auftrag erfolgte und die die gesamte Sequenz aus meinem Gedächtnis gelöscht hatte, brach. Und jetzt erinnerte ich mich wieder: Zeit – ungefähr zehn Jahre N.S. früher oder 1578 Ortszeit. Ort – die Karibik, ungefähr fünfzig Meilen südwestlich von St. Thomas. Wir hatten eine Suchfahrt nach dem von dem Karg befehligten Schiff unternommen, das in neu-spanischen Gewässern operierte; deutlich erinnerte ich mich an die Begegnung, die Jagd, den Kampf auf Deck, während ich in der Kabine auf die Gelegenheit zu jenem gutgezielten Schuß wartete, der die Quelle der Störung eliminieren sollte. Es war einer meiner ersten Aufträge, längst erfüllt, zu den Akten gelegt, Bestandteil der Zeitsäuberungs-Geschichte.
Jetzt allerdings nicht mehr. Aufgrund der Vorlagen neuer Beweismittel war der Fall wieder eröffnet worden. Ich war meinen eigenen Zeit-Spuren in die Vergangenheit zurück gefolgt.
Die Tatsache, daß dies eine flagrante Verletzung aller Naturgesetze war, die die Zeitreise regierten, war nur ein unbedeutender Aspekt dieser Situation und wurde weit in den Schatten gestellt von dem Beweis, daß die Vergangenheit, die von der Nexx-Zentrale mühsam wieder aufgebaut worden war, um die katastrophalen Auswirkungen der Alten Ära zu eliminieren, in Scherben fiel.
Und wenn sich ein Teilstück des neuen, so sorgfältig zusammengesetzten Mosaiks herauslöste, dann geriet alles, was darauf aufgebaut worden war, ebenfalls ins Rutschen, so daß die gesamte künstliche Konstruktion zu einem Haufen temporaler Trümmer zusammenzubrechen drohte, aus dem weder die Nexx-Zentrale noch irgendein anderer jemals etwas
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