Zeit-Odyssee
anomalen Manifestationen vervielfachten sich. Die Umstände wurden – mühsam. Wir sprangen hinausund stellten fest, daß die Dinge an anderen Orten, in anderen Zeiten sogar noch schlechter standen. Wir gerieten in eine panische Angst. Jedenfalls ich. Jetzt gebe ich das zu, obwohl ich mir damals einredete, nach einer Konfiguration zu suchen, wo ich versuchen konnte, stabilisierende Faktoren zu sammeln. Aber das war nur Einbildung. Ich sprang einfach hinaus. Und wieder hinaus. Schließlich – kam ich hierher. Für mich war es eine Zuflucht an Frieden und Stabilität. Menschenleer, gewiß – aber sicher. Eine Zeitlang war ich sogar beinahe glücklich – bis ich entdeckte, daß ich in der Falle saß.« Mit zittrigem Lächeln sah sie zu mir auf.
»Zweimal versuchte ich zu entkommen«, flüsterte sie. »Jedesmal landete ich wieder hier – nach grauenhaften Erlebnissen. Dann wurde es mir klar. Ich war in einem geschlossenen Kreis gefangen. Bis jemand kommen würde, der mich daraus befreite. Also fand ich mich damit ab und wartete.« Sie warf mir einen Blick zu, der mir das Gefühl gab, einen Krüppel die Treppe hinuntergeworfen zu haben.
»Sie scheinen mit den Apparaten hier vertraut zu sein«, sagte ich, um die Gesprächspause zu überbrücken.
»O ja! Ich habe ja genug Zeit gehabt, ihre Funktionen zu erforschen. Das heißt, ihre potentiellen Funktionen, denn unter den gegebenen Umständen sind natürlich nur noch minimalste Monitorfunktionen möglich, zum Beispiel die Vorhersage-Vektoren, die anzeigten, daß eines Tages Hilfe kommen würde.« Wieder dieses Lächeln.
»Der Bildschirm, den Sie aktiviert haben«, sagte ich. »So etwas habe ich noch nie gesehen. Ist das derjenige, der die Zukunft vorhersagt?«
»Bildschirm?« fragte sie verständnislos. Dann kam die Erinnerung. Sie stieß einen erschrockenen Laut aus und richtete sich plötzlich auf. »Ich muß sofort nachsehen …«
»Nein, nein, Sie müssen sich ausruhen!« protestierte Mellia.
»Helfen Sie mir auf, mein Kind. Ich muß die Anzeige überprüfen!«
Mellia wollte wiedersprechen, aber ich fing ihren Blick auf und half der Patientin gemeinsam mit ihr vom Bett und durch den Korridor.
Der erleuchtete Bildschirm war noch wie vorher: ein Rechteck aus schimmerndem Grün mit einem gezackten Rand, der ganz rechts an der Kante zitterte und tanzte. Die alte Dame stieß einen leisen Schrei aus und ergriff unsere Hände.
»Was ist?« erkundigte sich Mellia.
»Der Hauptstamm-Vorhersageträger!« stammelte sie. »Er ist verschwunden – aus dem Bildschirm verschwunden!«
»Vielleicht, wenn man die Einstellung korrigiert …«, begann ich.
»Nein! Die Anzeige stimmt«, sagte sie in einem Ton, der unvermittelt ein schwaches Echo von dem enthielt, was früher einmal autoritative Energie gewesen war. »Eine Terminalanzeige.«
»Was heißt das?« fragte Mellia beruhigend. »Es kann doch sicher nichts Schlimmes sein.«
»Das heißt, daß wir am Ende des temporalen Segments angekommen sind, in dem wir uns befinden. Es heißt, daß die Zeit für uns zu Ende geht.«
»Sind Sie ganz sicher?« fragte ich.
»Ganz sicher.«
»Wie lange noch?«
»Vielleicht Stunden, vielleicht Minuten«, antwortete die alte Mellia. »Ich glaube, dies ist ein Ereignis, mit dem die Hersteller dieser Anlage niemals gerechnet haben.« Sie warf mir einen ruhigen Blick zu. »Wenn Sie Transfermöglichkeiten zu einem sekundären Stamm haben, dann schlage ich vor, daß Sie sie augenblicklich benutzen.«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Wir haben unsere letzte Energie mit dem Sprung hierher verbraucht. Wir liegen fest.«
»Ja, natürlich. In der Unendlichkeit treffen sich alle Linien an einem Punkt. Die Zeit endet, also endet auch alles andere.«
»Was ist denn mit der Transferanlage der Station?« erkundigte sich Mellia. Agentin Gayl schüttelte den Kopf.
»Habe ich schon versucht. Aussichtslos. Sie würden nur unnötig Grausames durchmachen – ohne Ergebnis.«
»Immerhin …«
»Sie hat recht«, unterbrach ich. »Es hat keinen Sinn für uns. Wir müssen einen anderen Ausweg suchen. All diese Apparate – gibt es denn gar keinen, den wir, möglicherweise umgebaut, dazu benutzen können, um aus dieser Sackgasse herauszukommen?«
»Möglicherweise – wenn man technisch ausgebildet wäre«, antwortete die alte Mellia vage. »Aber das geht weit über meine Fähigkeiten hinaus.«
»Wir könnten unsere persönlichen Energiefelder aufladen«, schlug ich vor und spürte auf einmal eine
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