Zeit-Odyssee
zu weit hing er an der hageren Gestalt. Und über dem rechten Auge leuchtete eine tiefe Schramme von einem Schlag, an den ich mich nicht erinnern konnte.
»Hör zu«, sagte meine eigene Stimme, »ich brauche dir ja nicht zu erzählen, wer ich bin und wer du bist. Ich bin du, um einen Sprung voraus. Ich bin im Kreis gesprungen. Wieder am Ausgangspunkt angelangt. Es gibt keinen Ausweg, das heißt, vielleicht einen einzigen. Sehr angenehm ist er mir nicht, aber ich sehe keine Alternative. Nach der vorhergehenden Runde haben wir das gleiche Gespräch geführt, nur war da ich der Neuankömmling und wurde von einer anderen Version von uns beiden empfangen, die mir denselben Vorschlag machte, den ich dir jetzt machen werde.« Ich machte den Mund auf, um etwas zu sagen, aber er winkte ab. »Du brauchst mir keine Fragen zu stellen; ich habe sie ebenfalls gestellt. Ich war überzeugt, daß es einen anderen Ausweg geben müßte. Also bin ich weitergesprungen – und abermals hier gelandet. Und nun bin ich das Empfangskomitee.«
»Dann hast du vielleicht noch nicht vergessen, daß ich ganz gut eine Nacht Schlaf gebrauchen könnte. Mir tut der ganze Körper weh.«
»Du warst beim Absprung nicht ganz in der richtigen Position«, erklärte er ohne jegliches Mitgefühl. »Deine Knochen haben gekracht wie eine Peitsche, aber ernsthafte Verletzungen hast du nicht. Und jetzt steh auf.«
Ich stemmte mich auf die Ellbogen hoch und schüttelte den Kopf, sowohl um eine Verneinung anzudeuten als auch um klarer denken zu können. Das war jedoch ein böser Fehler; die Schmerzen wurden nur noch schlimmer. Er half mir auf, und nun erkannte ich, daß ich mich wieder einmal in der Befehlszentrale der Zeitlenkstation befand.
»Ganz recht«, bestätigte er sofort. »Zurückgekehrt in den Heimathafen – oder in sein Spiegelbild. Alles komplett, bis auf ein winziges Detail: Das Transferfeld arbeitet als geschlossener Kreis. Draußen vor der Tür ist nichts.«
»Hab’ ich gesehen, weißt du nicht mehr?«
»Ja, stimmt. Das war bei der ersten Runde. Du bist in ein früheres Segment deines Lebens zurückgesprungen, in eine Sackgasse ohne festes Ziel. Du warst sehr klug, du hast einen Weg herausgefunden, aber sie waren auch vor uns dort. Du hast verbissen gekämpft, aber der Kreis ist immer noch geschlossen, und darum bist du wieder hier.«
»Und ich dachte, ich hätte ihn manipuliert«, sinnierte ich. »Während er glaubte, mich zu manipulieren.«
»Ja, und nun haben wir noch einen Trumpf. Es sei denn, du wolltest aufgeben.«
»Noch nicht«, protestierte ich.
»Wir werden manipuliert«, erklärte er. »Der Karg hatte also noch etwas in Reserve. Wir müssen diesen Kreis durchbrechen. Das heißt, du mußt ihn durchbrechen.« Er zog die Pistole aus der Halfter an seiner Hüfte und reichte sie mir.
»Nimm«, bat er mich, »und erschieß mich damit.«
Die Worte, die ich sagen wollte, blieben mir im Halse stecken.
»Ja, ja, ich kenne die Einwände – alle«, sagte mein zukünftiges Ich. »Ich habe sie selber erhoben, vor ungefähr einer Woche. So groß ist nämlich diese kleine Zeitenklave, die wir besetzt halten. Aber die Einwände sind gegenstandslos. Mein Vorschlag ist die einzige echte Veränderung, die wir herbeiführen können.«
»Du bist nicht bei Trost, mein Freund«, sagte ich. Mir war ein wenig unbehaglich bei dem Gedanken, Selbstgespräche zu führen, auch wenn das Ich, mit dem ich sprach, mir gegenüberstand und sich dringend rasieren mußte. »Ich bin doch kein Selbstmörder – nicht einmal, wenn du das Ich bist, das ich umbringen soll.«
»Genau damit rechnen sie. Und bei mir haben sie damit auch recht gehabt. Ich habe mich geweigert, es zu tun.« Er betrachtete mich mit jenem ironischen Grinsen, das ich seit Jahren anderen Menschen gegenüber anwandte. »Wenn ich es getan hätte, wer weiß – vielleicht hätte ich mein eigenes Leben gerettet.« Er wog die Pistole auf der Handfläche, und jetzt war seine Miene wirklich eiskalt.
»Wenn ich der Ansicht wäre, es würde etwas nützen, wenn ich dich erschieße, würde ich es tun, ohne mit der Wimper zu zucken«, erklärte er. Dabei war er jetzt eindeutig er.
»Und warum tust du es nicht?«
»Weil du sozusagen in der Vergangenheit bist. Dein Tod würde überhaupt nichts ändern. Doch wenn du mich tötest, dann führst du eine Veränderung im Gleichgewicht des Lebens herbei – und das verändert möglicherweise deine … unsere Zukunft. Keine sehr große Chance, wahrscheinlich
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