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Zeit und Welt genug

Titel: Zeit und Welt genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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Dose in den Gürtel und kletterte hinauf. Er lief zu der am Boden liegenden Gestalt hinüber. Isis saß dabei und schaute zu. Beauty war niedergekniet und befühlte die Stirn der Frau.
    »Kalt und trocken«, sagte er. Summina saß in einiger Entfernung im Gras. Die Flügel gingen langsam auf und ab.
    Josh zog die Dose heraus. Die Frau schien ihn wahrzunehmen und öffnete die Augen. Sie sagte leise: »Dreht mich um. Füllt mich auf.«
    Josh rollte sie auf den Bauch und zog ihr Haar auseinander. An ihrem Hinterkopf war ein kleines Ventil geöffnet, fingernagelgroß. An der Dose befand sich ein etwas kleinerer Zapfen. Josh bohrte ihn mit der Messerspitze auf und goss die dicke rote Flüssigkeit aus der Dose vorsichtig in das Loch am Hinterkopf der ausgestreckten Gestalt. Als die Büchse leer war, klappte Josh das Kopfventil zu.
    Die Gestalt blieb sechzig Sekunden still liegen. Josh hatte erneut das sonderbare Gefühl, als stünde die Zeit still oder sie hätte sich zumindest stark verlangsamt. Plötzlich drehte die Frau sich um und setzte sich auf.
    »Ich lebe«, sagte sie schlicht.
    Joshua trat einen Schritt zurück.
    »Wer bist du?« fragte er.
    »Ich heiße Jasmine.« Sie schwieg kurz. »Ich schulde dir mein Leben.«
    »Du schuldest mir nichts. Ich tue, was ich tue.«
    Sie hatte ein Gefühl und lächelte.
    »Wer hat dir das angetan?« fragte Beauty leise.
    Sie fröstelte.
    »Ein schöner, langhaariger Vampir und ein Greif.«
    Beauty erstarrte voll Befriedigung.
    »Wieeesooo?« winselte Isis.
    »Sie hielten mich für einen Menschen«, sagte Jasmine traurig. »Die anderen waren es. Sie ließen mich für tot liegen, als sie dahinter kamen, dass ich es nicht war.«
    »Welche anderen?« Josh trat vor.
    »Noch sechs, in einem Wagen, gefesselt. Alles Menschen.« Sie unterbrach sich. »Waren das eure Leute?«
    »Sehr wahrscheinlich«, stieß Joshua hervor, den Blick nach vorn gerichtet.
    »Nun gut«, sagte Jasmine, als sie aufstand. »Wir müssen sie finden.«
    Die Sonne schickte ihr letztes Licht unter die Kämme der nahen Hügel und ließ alles düster erscheinen. Die ersten Anzeichen der Abendkühle. In der Stille des Augenblicks richtete Isis sich plötzlich halb auf, spitzte die Ohren, riss den Kopf nach links und erstarrte. Die anderen blickten in diese Richtung, sahen aber nichts. Schlagartig hetzte die Katze hinüber zu einer langen, felsigen Erhebung im Westen. Nach wenigen Sekunden kam sie zu den anderen zurückgerast.
    »Jarrrrl«, knurrte sie.
    Josh lief mit Isis lautlos zu einer Vertiefung im Gestein und blickte auf die östliche Ebene hinaus.
    Eine Viertelmeile entfernt kamen zehn Soldaten Jarls auf ihrer Spur langsam daher. Fünf schienen Bären zu sein, zwei waren Ursamenschen; die drei anderen konnte Josh nicht erkennen. Er lief zu den anderen.
    »JEGS«, sagte er keuchend. »Zu viele für einen Kampf. Wir müssen fliehen.«
    »Ich hasse dieses Weglaufen«, sagte Beauty.
    Jasmine blickte von einem Gesicht zum anderen, bis ihr Blick an Beauty haften blieb.
    »Als ich jung war, vor zweihundertfünfzig Jahren, gab es eine bekannte Wahrheit. Alles hat seine Zeit, hieß sie. Euer Kampf gilt nicht diesen Soldaten, meine ich.«
    Josh und Beauty blickten hinüber zu der Erhebung, wo bald Jarls Elite-Garde auftauchen musste, dann hinüber zum Wald der Unglücksfälle, der im Osten vor ihnen lag.
    »Ich kenne einen Ort, wo ihr warten und überlegen könnt«, fuhr Jasmine fort. »Eine Zuflucht, das Versteck eines Freundes. Im Wald.«
    Sie hielt ihre Blicke fest, bis sie einander ansahen. Sie drehte sich um und lief zum Wald.
    »So kommt«, rief sie halblaut über die Schulter. Sie trabten hinter ihr her. Bis sie einige Minuten danach den Waldrand erreichten, war die Nacht herabgesunken.
     
    Der Wald. Schwärze erfüllte die Luft, tiefer als jeder Gedanke, Dunkelheit ohne Form. In der Nacht konnte man sich Gestalten einbilden, von der Nacht nur durch unmerkliches Anderssein in der Beschaffenheit zu unterscheiden – hier ein glänzendes Schwarz, dort ein matteres, dort dichtere Dunkelheit: nasse Steine in einem Bach, junge Bäume, ein Tier.
    Ab und zu lugte durch die Wolkendecke des Himmels ein Fleckchen Sternenlicht, wurde aber sofort im Geflecht von Ranken und Zweigen des Walddachs eingefangen. Kein Licht in dieser Nacht.
    Und es war kalt. Kalt wie ein Fischherz. Wie die Farbe von Schnee im Schatten.
    Und still. Kein Laut. Nichts bewegte das Laub, nichts ließ Steine aneinanderklicken. Kein Nagetier raschelte, kein

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