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Zeit und Welt genug

Titel: Zeit und Welt genug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kahn
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erschlaffte in seinem Griff. Er trank jedoch rasch und schüttelte sie wach. In ihr erstarrtes Gesicht mit den weit aufgerissenen Augen hinein sagte er kalt, grausam und ruhig:
     
    »Ein Flügelschlag, die mächt’gen Springen noch gespreizt
    über das taumelnd’ Weib, dem sie die Schenkel zärtlich
    kosen, ihr weißer Hals von seinem Mund gereizt,
    umfasst er ihre wehrlos’ Brust …«
     
    Diceys Augen erwiderten Bals Blick in irrem, fassungslosem Entsetzen, während ihr Blut an seinen Mundwinkeln trocknete. Er reichte sie abrupt an den dritten Vampir weiter, der sich gierig auf ihre offene Wunde stürzte.
    Der erste Vampir packte ihr Handgelenk, biss hinein und begann das Fließende aufzulecken. Bal gebot ihm jedoch Einhalt: »Genug, Sire Uli, ein toter Mensch nützt keinem etwas.«
    Einer der Unglücksfälle, die zuhörten, wandte sich seinem Artgenossen zu und sagte: »Men dugro. Oglo dor.«
    Die Unglücksfälle lachten.
    Bal lächelte.
    »Die Unglücksfälle haben ihre eigene Meinung zum Menschenleben«, sagte er. Uli ließ das blutende Handgelenk des halb ohnmächtigen Mädchens los; der andere Vampir zog die Zähne aus ihrem Hals. Sie verlor das Bewusstsein. Uli schleppte sie hinüber zu den schaudernden Menschen und ließ sie fallen. Rose, einige Schritte entfernt, kam langsam zu sich.
    Die Vampire unterhielten sich weiter. Die Unglücksfälle standen abseits und sprachen miteinander so leise, wie es ihre hässliche Sprache zuließ. Der Greif hockte allein auf einem Felsen und putzte sich mit beschädigtem Schnabel das Gefieder.
     
    Josh blickte über den Felssims auf den regungslosen See. Kein Tier stand am Ufer, um zu trinken, kein Fisch kräuselte die Oberfläche. Dieses Gewässer war tot.
    Josh drehte sich nach seinen Begleitern um.
    »Niemand hier. Gehen wir nach Süden.«
    Die anderen stimmten zu.
    »Tiere haben mit diesem See nichts mehr zu tun«, sagte Jasmine. »Der besteht nur noch aus Salz und Schlamm.«
    Sie liefen nach Süden. Irgendwann blieb Summina, abgelenkt durch eine Blume, zurück. Jeder von den anderen bemerkte ihre Abwesenheit zu irgendeinem Zeitpunkt, aber alle hielten es aus gutem Grund für das beste; deshalb sagte keiner ein Wort.
    Nach einer Stunde erreichten sie gewellte Wiesen. Zuerst ein langer, ginsterbewachsener Hang, dann ging es auf der anderen Seite zwischen Gebüsch hinauf. Ein verschlammter Wildpfad führte nach oben und bog rechts ab.
    In diesem Teil des Waldes hatte es vor Jahren gebrannt. Die Bäume waren deshalb jung. Die Spuren des Brandes erinnerten Beauty an sein loderndes Haus. Er wurde noch verschlossener. Die anderen schienen seine Empfindung zu übernehmen, als könnten sie das Brausen der Flammen hören. Jasmine achtete auf jeden Schritt, um nicht zerbrechliche Erinnerungen zu zertreten. Die dünnen Schatten der Baumschößlinge schraffierten den Boden wie Gebeine. Selbst Isis trabte lautlos.
    Joshua ging ohnehin vorsichtig. Die Schmerzen an seinem Rücken, wo der Unglücksfall ihn getroffen hatte, zeigten sich beharrlich wie ungebetene Gäste. Jeder Schritt wurde begleitet von einem kleinen Hammerschlag im Rücken. Er sprach aber nicht von seiner Qual, denn er war noch jung und glaubte, stoisches Dulden sei das Mittel, mit dem der Kluge seine Tapferkeit zu härten hatte.
    Auf diesem verkohlten Boden bemerkte Beauty zum ersten Mal das Wesen, das hoch über ihnen kreiste. Jasmine schaute ebenfalls hinauf.
    »Seit drei Meilen hält es schon Schritt mit uns«, sagte sie.
    »Du hast gute Augen.«
    Josh blickte verkniffen hinauf.
    »Was ist das?« fragte er.
    »Zu hoch, um es zu erkennen«, erwiderte Jasmine.
    »Am besten gehen wir weiter«, murmelte Beauty.
    Isis fauchte kurz und lief voraus, nutzte jeden Schatten und huschte weiter.
    Unbewusst liefen sie schneller. Fliegende Tiere waren gefährlich. Selbst wenn das kein Vampir auf Raubzug war, musste es als lebensbedrohend gelten, bis sich anderes erwies. Und es war stets entnervend, beobachtet zu werden. Jasmine und Josh zogen ihre Messer, Beauty spannte den Bogen.
    Sie eilten durch wilden Wein, und als sie herauskamen, war die Erscheinung am Himmel verschwunden. Sie atmeten nicht leichter.
    Vor ihnen dehnte sich ein Bambuswald, ein grünes, raschelndes Meer, das alle „Winkel füllte. Da man sein Ausmaß nicht schätzen konnte, stürzten sie sich hinein. Nach wenigen Metern waren sie von den drei Meter hohen Stangen umzingelt.
    Sie kamen nur schwer voran. Der Wald wurde dünner und dichter. Jasmine ging

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