Zeit zu hassen, Zeit zu lieben
besonders wild aufgeführt und gleich losgeschlagen.«
Hermann drohte mit der Faust zu Bruno hinüber. »Nenne unsere SA nie mehr Bande, mein Lieber, sonst lernst du mich von einer anderen Seite kennen. Die Männer in den Braunhemden sind unsere Sturmabteilungen. Sie haben in München den Schreiern am Rande schnell das Maul gestopft. Die sorgen bei unseren Kundgebungen für Ordnung. Eine mächtige Bewegung lässt sich nicht durch randalierenden Pöbel aufhalten. Unseren Adolf Hitler, den hindert niemand, wenn er spricht.«
Steiner war es leid, die geschwollenen Reden von Hermann länger anzuhören. Er sagte: »Hermann, du bist sicher nicht gekommen, um uns für die NSDAP zu werben.«
»Nee, ihr seid schwarz bis auf die Knochen. Aber täuscht euch nicht, in unserer Bewegung sind viele Katholiken. Jedem, dem die Rettung unseres deutschen Vaterlandes aus höchster Not am Herzen liegt …«
»Stopp, Hermann«, fuhr Steiner scharf dazwischen. »Das hast du in München gehört. Da mögen die dicken Wörter passen, hier nicht. Sag endlich, was du wirklich willst.«
»Ich brauche eine Stange für unser Banner.« Hermann nahm aus seiner Tasche eine zusammengefaltete Flagge heraus. Der rote Stoff leuchtete.
»Schwarz-weiß-rot?« fragte Bruno. »Seit wann marschiert ihr unter diesen Farben?«
»Denkste, schwarz-weiß-rot! So weit kommt das noch.« Hermann entfaltete das Tuch. In der blutroten Fahne war in der Mitte ein weißes Kreisfeld und darin schwarz eingezeichnet ein Hakenkreuz. »Das wird unsere Flagge sein«, sagte Hermann stolz.
»Ich weiß nicht«, sagte Kaplan Klauskötter, »ein abgeknicktes Kreuz, da bin ich doch schon mehr für unser Kreuz.«
»Hat sich verbraucht«, sagte Hermann. »Hat keine Zukunft. Die, die Ihrem Kreuz nachtrotten, trauern immer noch dem Gestern nach, wo Kaiser und Kirche Arm in Arm gingen.«
»Solltest dich besser in der Geschichte auskennen«, sagte Steiner bissig. »Aber zur Sache. Wie lang soll die Stange sein?«
Hermann reckte seinen Arm hoch. »Ich will so gerade noch die Spitze berühren können«, sagte er.
»Ausmessen, Bruno«, sagte Steiner. »Mal sehen, wie hoch der Hermann noch kommt.«
Bruno klappte den Zollstock auseinander. Er ist in den letzten Monaten in die Höhe geschossen, dachte Kaplan Klauskötter.
Bruno schrieb die Maße auf.
»Was wird die Stange kosten?«
»Willst du gleich bezahlen oder später?«, fragte Steiner.
»Jetzt will ich wissen, was sie kostet, später will ich bezahlen.«
»Hast du das auch bei deinem Hitler gelernt?«, lachte Steiner. »Wenn ich jetzt sage, zweitausend Mark, dann kannst du das in vierzehn Tagen aus der Westentasche bezahlen und ich bekomme für den guten Eschenschaft gerade noch einen einzigen amerikanischen Dollar.«
»Denkste«, rief Bruno. »Der Kurs für einen Dollar steht schon bei viertausendfünfhundert Mark.«
»Siehst du, so schnell geht’s abwärts«, sagte Steiner.
»Ist gut«, gab Hermann nach. »Wir einigen uns, wenn die Stange fertig ist. In vierzehn Tagen, also?«
»Ja, in vierzehn Tagen«, versprach Steiner.
Hermann schlug die Hacken gegeneinander und ging. Steiner sagte: »Hoffentlich trampeln die mit ihren Stiefeln nicht die Demokratie kaputt.«
»Ach was«, wehrte Kaplan Klauskötter ab und schlug mit der Hand in den Wind. »’ne wild gewordene Splittergruppe ist das. Wenn die Zeiten erst wieder normal sind, dann vergehen die wie der Schnee vor der Sonne.«
Klauskötter wandte sich an Bruno. »Wie steht’s, alter Freund und Kupferstecher? Sollen wir uns noch ne halbe Stunde an unsere Aufgaben machen?«
»Immer«, stimmte Bruno zu.
Sie gingen quer über die Straße in die Kaplanswohnung. Der Junge schlug sich vor der Haustür die Hobelspäne von den Kleidern, putzte sorgfältig seine Schuhe ab und zog die Mütze vom Kopf. Er wusste, was die Haushälterin von ihm erwartete. Fräulein Gundula stellte wie zu jeder Lateinstunde in der Küche ein großes Glas Milch zurecht und legte eine Doppelte, wie sie zu den zwei Scheiben Brot sagte, dazu. »Heute gibt’s außerdem ein Ei«, sagte sie.
»Dann verspeise ich jetzt mit Freuden achtzig Mark«, lachte Bruno.
»Bitte?«, fragte Fräulein Gundula.
»Achtzig Mark kostet heute ein Ei.«
»So?«, fragte sie und schaute den Jungen zweifelnd an. Er machte oft Scherze mit ihr. Aber dann lachte sie und sagte: »Gut, dass die Hühner bei meinem Bruder auf dem Bauernhof nicht wissen, wie teuer die Eier sind, sonst würden sie’s sich noch überlegen, ob
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