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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Begrüßungsschnaps und Kaffee und Kuchen schien Danuta mitten unter den Menschen zu sein.
    Der Vorsitzende vom polnischen Sokol-Turnverein erinnerte sich, wie Danuta mit ihren vier Töchtern beim Kolendagang den Haussegen an ihn weitergegeben hatte, der in den polnischen Familien am Dreikönigstag von Haus zu Haus getragen wurde, und die Nachbarin, Anna Kuckafka, berichtete und heulte dabei, dass sie sich, Gott möge es ihr vergeben, mit der Danuta in den Haaren gelegen habe, und dann sei die Danuta, ein Engel sei sie gewesen, gekommen sei sie am ersten Weihnachtstag und habe ihr das Oblatenbrot gebrochen und ihr den Versöhnungskuss gegeben, weil doch Friede sein sollte auf Erden.
    »Ihre letzten Worte waren«, sagte Marek und er schien gelöster als all die Tage zuvor, »ich soll aufpassen, dass dem kleinen Jerzy im ersten Lebensjahr kein einziges Haar abgeschnitten wird, damit er ein großer starker Mann werden kann.«
    Paul wurde von seinem Nachbarn, einem schwarzhaarigen jungen Mann, eingeladen, doch in den polnischen Gesangverein Konkordia zu kommen. Er, der Anton Strominski, singe im ersten Tenor. Aber Paul erwiderte, er sei zwar im Osten aufgewachsen, aber ein Pole sei er nicht.
    »Es geht abwärts mit unserm Chor«, klagte der Anton Strominski. »Viele Familien kehren nach Polen zurück. Sie wollen im Heimatland leben.
    Und Marek sagte: »Und andere ziehen nach Frankreich. Dort suchen sie Bergleute.«
    »Ja«, bestätigte Anton. »So ist es. In Deutschland ist viel Nebel. Siehst nicht, wie das weitergehen soll. In der Lohntüte steckt eine Menge Geld und du bekommst immer weniger dafür. Stell dir vor: Hundertzwanzig Mark soll in diesem Jahr ein Zentner Kartoffeln kosten. Wie soll man hier auf Dauer leben?«
    Gegen Mittag verabschiedete sich Paul. Marek zog ihn beiseite und flüsterte: »Sag dem Meister, er soll meine Papiere fertig machen. Ich komme nicht mehr zurück. Ich gehe mit meinen Kindern nach Krakau in die Heimat.«
    »Mensch, Marek, du hast doch eine gute Arbeit auf der Werft.«
    »Sicher, Paul, aber was mache ich mit Jerzy und den vier Mädchen? Schau, da drüben die große blonde Frau. Das ist meine Schwägerin. Bei der kann ich wohnen. Sie wird für die Kinder sorgen wie eine Mutter. Vielleicht brauchen sie auch in Krakau einen Nieter, der die Kolonne auf hundert in der Stunde treibt.«
    »Mach’s gut, Marek.«
    »Mach’s gut, Paul. Und sieh zu, dass du von dem Nietenkloppen wegkommst. Ist nicht das Richtige für dich, Paul. Ich hab’s dir schon nach einer Woche gesagt. Du hast’s mehr im Kopf als in den Muskeln.«
    »Ich werd’s dem Willi Rath sagen, Marek. Aber ob der’s glaubt?«
    »Do widzenia, Paul, auf Wiedersehen.«
    Als Paul nach Hause kam, saß Franziska mit verheulten Augen am Fenster. Frau Reitzak hatte die Ärmel hochgekrempelt, hantierte mit Mehl und Milch auf dem Tisch herum und schimpfte vor sich hin.
    »Ich hab’s dir schon lange gesagt. Das konnte auf die Dauer nicht gut gehen. Immer diese zweifelhaften Geschäfte.«
    »Was ist?«, fragte Paul besorgt.
    »Glück hat sie noch gehabt, dass sie nicht geschnappt worden ist. Im Gefängnis wäre sie gelandet.« Frau Reitzak knetete wütend ihren Brotteig.
    »Das nennst du Glück?«, jammerte Franziska. »Ich sitze in der Patsche wie nie zuvor.«
    »Gib den Laden endlich auf und heirate«, sagte ihr Vater. »So ein Geschäft, das verdirbt eine Frau. Nimm den Hermann Cremmes, der ist Beamter bei der Bahn. Dann brauchst du dir den Kopf nicht zu zerbrechen über die Kleider anderer Leute. Der Hermann verdient gut und kann eine Familie ernähren. Und das Alter zum Heiraten hast du auch.«
    Franziska warf die Lippen auf und sagte: »Lieber gehe ich betteln.«
    »Dummes Suppenhuhn«, brummte ihr Vater.
    »Was ist denn hier eigentlich los?«, fragte Paul.
    »Die ganzen Stoffe haben sie ihr abgenommen. Sie hat in Emmerich im Wartesaal gesessen. Da kam eine Razzia. Zum Glück ist sie schnell auf die Damentoilette verschwunden. Aber als sie zurückkam, da hat sie gerade noch gehört, wie der Zollbeamte gefragt hat: ›Und wem gehören die beiden schweren Koffer hier?‹ Sie war schlau genug, sich nicht zu melden. Die Zollbeamten sind verschwunden und die Koffer und die Stoffe mit ihnen.«
    »Und jetzt sitzt sie schon über eine Stunde da und heult«, sagte Leo und er gab sich gar keine Mühe, seine Schadenfreude zu verbergen.
    »Und nun?«, fragte Paul.
    Franziska schaute ihn an und sagte: »Sechs Aufträge habe ich durch Frau Baron

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