Zeit zu hassen, Zeit zu lieben
Mark bekommen können.«
»Für den Zentner Kartoffeln habe ich im Herbst noch vierzig Mark bezahlt, jetzt verlangen sie mehr als die doppelte Summe dafür. Man sollte kaufen, kaufen, kaufen und im rechten Augenblick weiterverkaufen.«
»Sie wollen unter die Geschäftemacher gehen und mühelos reich werden, wie?«, neckte Kaplan Klauskötter den Küster.
»Nee, das ist nichts für mich«, wehrte Steiner ab. »Wenn Sie so viele Tote unter die Erde bringen wie wir, dann wissen Sie, das Totenhemd hat keine Taschen, nicht wahr, Bruno? Der Mensch muss von seiner Arbeit anständig leben können, nicht mehr und nicht weniger. Aber viele können das nicht. Der Paul schleppt von der Werft als Lohn ein ganzes Bündel Papiergeld mit nach Hause. Woche für Woche. Und wenn er ein paar Tage mit dem Ausgeben wartet, dann ist es nur noch die Hälfte wert.«
»Der Paul bringt das meiste zur Sparkasse. Ich glaub, er will irgendwann die Franziska heiraten«, sagte Bruno.
»Der Dussel«, lachte Steiner. »Trägt’s zur Kasse. Hofft, er könnte sich irgendwann Möbel kaufen. Aber die Preise laufen ihm davon. Sein Geld auf der Kasse, das kann er, wenn es so weitergeht, aufs Klo hängen. Dafür ist es dann gerade noch gut.«
»Unser Pastor macht das anders«, sagte der Kaplan. »Der lässt die Kirche auf Hochglanz bringen. Dachdecker, Maurer, Anstreicher.«
»War auch nötig«, sagte Steiner. »Es regnete ganz schön durch. Jeden zweiten Tag konnte ich die abgeblätterte Farbe auffegen.«
»Und wie bezahlt er die Handwerker?«, fragte Bruno. »Mit dem, was die Leute bei der Sonntagsmesse spenden, da kann er doch nicht einmal die Kerzen kaufen.«
»An unserem Pastor ist ein Kaufmann verloren gegangen«, sagte Kaplan Klauskötter. »Sobald eine Arbeit fertig ist, nimmt er bei der Kasse ein Darlehen auf und zahlt die Handwerker aus.«
»Ja, aber ein Darlehen muss man doch auch zurückzahlen.«
»Sicher. Aber das macht er ganz raffiniert. Der Wert des Geldes fällt und fällt und der Lohn, den er von dem Darlehen vor vier Wochen bezahlte, der kommt heute tatsächlich leicht bei einer Kollekte ein. Aber kaufen kannst du dafür bereits nichts mehr. Nur noch das Darlehen kann er damit zurückzahlen.«
Steiner fügte hinzu: »Er ist wirklich sehr, sehr schlau.«
Bruno hörte heraus, dass der Küster sich für den Pfarrer ein wenig schämte.
Es klopfte. Hermann Cremmes trat ein. »Schon Feierabend?«, fragte er.
»Aber sicher«, entgegnete Steiner. »Hier ist jeden Tag um vier Uhr Schluss. Nicht so wie bei euch, bei der Bahn, so eine unregelmäßige Arbeitszeit. Das wäre nichts für mich. Wir fangen früh an und haben pünktlich Feierabend.«
Jetzt entdeckte Hermann den Kaplan. »Ach, der Herr Kaplan gönnt sich auch ein Ruhestündchen von der schweren Hirtenarbeit«, spottete er.
»So ist es«, bestätigte Klauskötter.
»Ich hörte, Sie waren beim Katholikentag in München.«
»Das war ich.« Kaplan Klauskötters Antworten fielen kurz aus. Bruno wusste, dass er von Hermann nicht viel hielt.
»Ich komme auch gerade aus München zurück«, sagte Hermann. »Stellen Sie sich vor, fünfzigtausend Menschen haben Hitler hören wollen. Manche sind sicher nur aus Neugier gekommen, aber er hat sie alle begeistert. Sie haben ihm zugejubelt, als er mit der unfähigen Regierung abgerechnet hat, mit den Novemberverbrechern, die die Front verraten haben. Es war eine großartige Sache. Ich sage Ihnen, Adolf Hitler ist der Mann der Zukunft.«
»Was schimpfst du auf unsere Regierung, Hermann. Ebert hat doch gerade in eurem Sinne gehandelt«, sagte Steiner listig.
»Wie bitte?«, fragte Hermann verblüfft.
»Am 2. Oktober hat der Reichspräsident bestimmt, dass ›Deutschland, Deutschland über alles‹ unser Nationallied sein soll. Das passt doch in euren Kram, oder?«
»Na ja«, gab Hermann zu. »Er konnte wohl nicht anders.«
»Hat es denn keine Störungen in München gegeben?«, fragte Bruno.
»Störungen?«
»Ja. Karl hat erzählt, dass bei einer Versammlung der SPD richtige Schlägertrupps aufgetaucht sind. Sollen Linke und Rechte gewesen sein. Der Redner wurde niedergebrüllt. Sie haben gar nicht angehört, was er gesagt hat. Nur, weil die Partei ihnen nicht gepasst hat, weil er nicht aus ihrem Stall kam, deshalb haben sie die Versammlung gesprengt.«
»So macht man eine Demokratie kaputt«, sagte Steiner.
Bruno fuhr fort: »Eine Bande, hat der Karl gesagt, hätte kackbraune Hemden angehabt und diese Braunen hätten sich
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