Zeit zu hassen, Zeit zu lieben
blieben sie erschrocken stehen. Da hatte sich ein alter Mann auf ihren Bollerwagen gehockt, rauchte ruhig seine Pfeife und blickte zu ihnen herüber. Sie wussten nicht, was sie machen sollten.
»He, ihr da! Ich bin nicht die Polizei. Ihr könnt ruhig herkommen«, rief der Mann mit einer krächzenden Stimme.
»Was bleibt uns anderes übrig?«, sagte Alwin leise und ging los. Die beiden anderen folgten ihm in sicherem Abstand.
Notfalls sind wir stärker als er, dachte Bruno.
»Habt ihr euch die Fische angeschaut?«, fragte er.
»Welche Fische?«, versuchte Bruno sich dumm zu stellen.
Aber alle merkten gleich, wie albern die Frage war, denn das Wasser tropfte aus den Zipfeln der Säcke.
»Natürlich haben wir sie angesehen«, antwortete Manfred.
»Was für Fische sind es?«, wollte der Mann wissen.
»Na, Fische eben. Ein paar größere und viele kleine.«
»Vier große Zander, ein großer Hecht, Brassen, Rotaugen, ein paar kleine Barsche«, sagte Bruno.
»Aha, du kennst dich aus. Hast sicher schon öfter das Wasser mit deinen Granaten aufgequirlt, wie?«
»Es war das erste Mal. Ich kenne die Fische aus den Seen bei uns in Masuren.«
»Aus Masuren kommt er, der Strolch, und bringt auf diese Weise Fische um.«
»Wir haben Hunger«, sagte Bruno.
»Waren keine kleinen Hechte dabei?«
»Doch«, antwortete Bruno. »Wir haben die winzigen im Wasser gelassen.«
Der Mann stand auf. Er wirkte schmächtig und war ein wenig kleiner als Alwin. Er nahm Manfred den Sack aus der Hand. Der ließ sich das widerstandslos gefallen. Der Mann öffnete den Sack weit, schaute hinein und griff nach einem kleinen Fisch, kaum länger als eine Handspanne. Er hielt ihn Bruno hin.
»Ein Zander«, sagte Bruno.
»Ein winziger Zander. Im vorigen Jahr hat hier ein Angler einen Zander herausgeholt, der wog fast fünfzehn Pfund. In ein paar Jahren wäre dieser hier auch so weit gewesen. Aber wahllos habt ihr die Fische getötet. Viele, viele kleine und ganz wenige große.« Er schaute traurig auf den toten Fisch. »Schaut euch die Augen an, die klaren Augen.« Dann klappte er ein Taschenmesser auf, schnitt mit einem geschickten Ansatz dem Fisch vom After her den Leib auf und sagte: »Schaut hinein. Die Schwimmblase ist geplatzt. So fischen nur Galgenvögel.« Er legte den Fisch in den Sack zurück. »Warum habt ihr das getan?«, fragte er.
»Wir wollten uns endlich satt essen«, antwortete Alwin.
Der Mann knurrte etwas Unverständliches, dann sagte er und es lag mit einem Male eine wilde Drohung in seiner Stimme: »Macht das nie wieder, hört ihr? Nie! Erwische ich euch noch einmal, dann geht’s ab zur Polizei, verstanden?«
Alwin unterdrückte nur mühsam ein Lachen, denn er fragte sich, wie der alte Mann das wohl anstellen wollte, aber das Lachen verging ihm schnell, denn der Alte pfiff schrill und hinter einer Salweide schossen zwei Schäferhunde in großen Sprüngen herbei und blieben dicht bei ihm stehen. Im Weggehen rief der Mann ihnen zu: »Und wenn ihr unbedingt wieder Fische haben wollt, meine Tütebell liegt am Kribbenkopf vor der Brücke. Kommt mich dort mal besuchen. Ich heiße übrigens Angenheister.«
»Was ist das, eine Tütebell?«, fragte Bruno, als sie die Säcke auf den Wagen warfen und sich auf den Heimweg machten.
»Ein Kahn mit einem großen Senknetz ist das. Das Netz kann mit einer Winde über einen schräg stehenden Hebemast auf- und niedergekurbelt werden. Ich habe den Kahn dort oft liegen sehen, aber den Fischer hätte ich nicht erkannt«, sagte Manfred.
An diesem Abend zog ein herrlicher Duft von gebratenen Fischen durch die Blütentalstraße und im Gasthaus »Zum dicken Pferd« servierte der Wirt dem Hermann und seinen Stammtischgenossen gedünsteten Zander in Dillsoße.
28
Die Hitze wurde im Juni beinahe unerträglich. Das Thermometer kletterte auf vierunddreißig Grad. »Man kann Eier auf dem bloßen Blech braten«, behauptete der Nietjunge, aber er konnte es nicht beweisen. Eier waren für seinen Lohn zu teuer.
Marek schien die Hitze am wenigsten auszumachen. Wie wild hämmerte er die Nieten platt, redete kaum ein Wort, vergaß sogar das Schimpfen, wenn eine Niete zu hell glühend eingesteckt wurde.
Paul sah sich das zwei Tage lang an, dann, kurz vor Feierabend, fragte er seinen Kolonnenführer: »Ist was, Marek? Steckt dir immer noch die Abstimmung vom Frühjahr im Sinn?«
»Ach was«, antwortete Marek. »War doch für die Katz, dass ich nach Oberschlesien gefahren bin und für Polen optiert
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