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Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Zeit zu hassen, Zeit zu lieben

Titel: Zeit zu hassen, Zeit zu lieben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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sich ihm und sagte: »Lass mich jetzt, ich brauche einen klaren Kopf. Die Baron-Madame ist meine erste wirkliche Chance. Für morgen bereite ich alles vor, schneide den Musterbogen zurecht und lege das Material bereit: Knöpfe, Futter, Reihgarn, Steifleinen, Nähseide. Wir werden morgen alle anderen Arbeiten liegen lassen. Ich muss heute Abend noch die Resi Schneider bitten, uns zu helfen. Ich sage dir, um sechs liefere ich Frau Baron einen Traum von einem Kleid ab.«
    Er protestierte: »Träume von einem Kleid! In deinem Kopf hat nichts anderes Platz als das Geschäft. Du solltest von mir träumen!« Aber er ließ sich doch von ihrer Freude anstecken und schnitt mit der großen Schneiderschere aus Papier das Muster aus, das sie sorgfältig gemessen und aufgezeichnet hatte.
    Als sie gegen elf nach Hause gingen, legte er ihr den Arm um die Hüfte. Sie ließ es sich gefallen. Es schien ihr auch nichts auszumachen, als sie in Beilens Haustür noch ein paar Nachbarn stehen sah.
    Als Mathes März den beiden nachpfiff und rief: »Jung gefreit, nie gereut!«, da lachte sie und schmiegte sich eng an Paul.
    Der war glücklich und dachte: Man muss ihr nur Zeit lassen.

27
    »Topf, Stiel und Zündkapsel brauchen wir, wenn es klappen soll«, flüsterte Bruno.
    »Kannst ruhig lauter sprechen«, antwortete Alwin. »Der Stallbaron hat Feierabend gemacht und Bilarskis Nachtwache fängt erst in einer halben Stunde an. Außerdem steht Manfred an der Luke und passt auf.«
    Sie öffneten die Munitionskiste. Aus der unteren Lage nahmen sie die Handgranaten und stopften die Lücke mit Heu aus.
    »Das merkt man erst, wenn ausgepackt wird«, sagte Alwin.
    Sie wuchteten die Kiste wieder zurück in das Versteck.
    »Morgen Nachmittag gehen wir zum Baggerloch«, sagte Bruno und verbarg die Handgranaten in einer alten Einkaufstasche.
    »Pünktlich um fünf Uhr sind wir bei dir«, versprach Alwin.
    »Kannst du auch wirklich damit umgehen?«, fragte Manfred.
    »Kein Problem. Ich habe dir ja von meinem Bruder Wilhelm erzählt. Er hatte sogar noch Handgranaten im Gürtel stecken, damals in Berlin auf dem Platz. Als der Offizier kam, wollte er noch eine zünden. Aber Wilhelm hat’s nicht mehr geschafft. Er hatte viel Blut verloren und war ohne Kraft. Trotzdem hat der Kerl ihn kaltblütig erschossen. Wenn ich den je erwische!«
    »Zeig doch noch einmal das Foto«, bat Alwin.
    Bruno zog seinen Brustbeutel hervor und reichte es ihm.
    »Ist ziemlich zerknittert und vergilbt, das Papier«, sagte Alwin. »Man kann die Männer kaum noch erkennen.«
    »Ja«, bestätigte Bruno. »Aber hier drin«, er klopfte mit seinen Handknöcheln gegen seine Stirn, »hier drin ist das Bild wie eingebrannt. Ich erkenne den Mann auf fünfzig Meter.«
    Alwin schaute nachdenklich auf das Foto. Der Offizier sah jenem Oberst tatsächlich ähnlich, der immer mal wieder in das Wirtshaus seines Vaters kam, sich zu den Kutschern aus Barons Stall setzte und dem die Männer geradezu aus der Hand fraßen. Wenn er sprach, schwiegen sie und streuten höchstens einmal ein »Jawoll« oder »Genau so ist’s« ein.
    »Beeilt euch«, rief Manfred.
    »Zeit genug. Nur keine Aufregung«, antwortete sein Bruder.
    Sie stiegen in den Stall hinunter.
    »Vergesst nicht, ein paar Säcke auf den kleinen Bollerwagen zu werfen, wenn ihr morgen kommt«, sagte Bruno.
    Alwin sah ihn an. »Mensch, Bruno, schneide nicht so auf. Es hört sich an, als ob wir ein Pferd vorspannen müssten.«
    »Ihr werdet schon sehen. Wir werden viele Fische fangen.«
    Sie gingen auseinander.
    Bruno trug die Einkaufstasche unauffällig durch Reitzaks Küche und verschloss die Kammertür hinter sich. Bevor er die Tür wieder aufschloss, wickelte er die Handgranaten in eine alte Zeitung.
    Wohin damit?, dachte er. Da fiel sein Blick auf die Badewanne. »Darin hat noch nicht einmal die Reichswehr etwas vermutet«, lachte er, zog die Wanne von der Wand und legte das Paket hinein.
    Am nächsten Tag wanderten die drei Jungen auf den Rhein zu. Sie zogen einen kleinen Handwagen hinter sich her.
    Frau Reitzak schaute ihnen beunruhigt nach, bis sie um die Ecke verschwunden waren. Bruno hatte geheimnisvolle Andeutungen gemacht und etwas von »Bratpfanne schon mal warm stellen« und von »Leckerbissen« dahergeredet. Hoffentlich machten die Burschen keine Dummheiten.
    Sie hatte genug schlaflose Stunden. Immer wieder fiel ihr Leo ein, wenn sie sich im Bett unruhig von der einen auf die andere Seite wälzte. Leo war von klein auf ihr

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