Zeitbombe Internet
führende IT-Unternehmen â Google, Apple, Facebook und Microsoft â versuchen, sogenannte Ãko-Systeme aufzubauen, in denen Kunden und Nutzer möglichst lange verweilen und dann wahlweise möglichst viel Geld ausgeben oder möglichst viel Werbung wahrnehmen.
In den USA sind die Datensammler wegen der laxeren Datenschutzbestimmungen weiter als in Deutschland, aber auch hierzulande sind Firmen wie Doubleclick, Tomorrow AG, die Post, Infoscore, Amazon und der Otto-Versand ziemlich dick im Geschäft.
Joe Apprendi von der New Yorker Firma Collective erklärt das Motiv der Datensammler. Er ist selber einer. Apprendi
malt einen Trichter auf, es ist der alte Werbetrichter. Oben kippt, um in diesem Bild zu bleiben, der Werber seine Reklame hinein. Auf dem Weg nach unten verflüchtigt sich viel von der Werbung, sie geht verloren, und nur ein Bruchteil erreicht am unteren, engen Ende des Trichters interessierte, potenzielle Kunden. »Wir drehen jetzt den Werbetrichter um«, sagt Apprendi. »Die Firmen, die zu uns kommen, sagen: Wir kennen unseren eigenen Kunden, aber wir wissen nicht, wie wir Menschen erreichen, die ähnlich ticken.« Dann schaut Apprendi in seine groÃe Datenbank mit digitalen Doppelgängern, um dort amerikanische Konsumenten mit entsprechenden Profilen zu finden. Natürlich geschieht das auch nicht mehr per Hand, sondern per Computer. »Im Zentrum steht unsere Publikums-Wolke«, sagt Apprendi.
Die »Wolke« ist derzeit ein beliebtes Wort, um etwas im Ungefähren zu lassen. Tatsächlich handelt es sich um eine Sammlung von 190 Millionen Kundenprofilen. Die lagern nicht alle auf den Computern von Collective, aber die Technologiefirma darf auf all diese Profile zugreifen, sie anreichern, analysieren und vermarkten. Woher die Profile kommen? Sie werden von fünfunddreiÃig groÃen Internetunternehmen, viele von ihnen sind Onlinehändler, gesammelt, sagt Apprendi. Dann fügt er weitere Daten aus öffentlich zugänglichen Quellen hinzu, etwa über das Einkommen in bestimmten Stadtvierteln. Seine Technologie namens AMP helfe den Werbungtreibenden dann, aus den 190 Millionen digitalen Doppelgängern jene herauszusuchen, deren lebendiges Gegenstück man mit einiger Wahrscheinlichkeit in einen Kunden verwandeln kann. Die Software durchsuche einfach die Daten nach Dutzenden von Kriterien: »Geschlecht, Alter, ob sie gerade nach einem Computer suchen oder eine Geschäftsreise planen, nach Hobbies und Charaktereigenschaften.«
So flieÃen die Datenströme, die an verschiedenen Stellen mit verschiedenen Techniken aufgefangen werden, zusammen. Und zwar nicht nur bei Collective. Von 190 Millionen Amerikanern gibt es inzwischen mehrere, digitale Doppelgänger, die sicher noch kein Ebenbild abgeben, sondern in vielerlei
Hinsicht verzerren, Dinge auslassen, noch nicht erfassen oder falsch interpretieren. Aber nach diesen digitalen Doppelgängern werden 190 Millionen Amerikaner an verschiedensten Stellen bewertet und eingeordnet.
In den USA sind etliche Firmen nun dabei, die letzte Hürde zu überspringen: All die Daten aus dem Internet, aus denen sich solch vollzählige Menschenabbilder ergeben, wieder den richtigen Menschen zuzuordnen. Oder zumindest den Geräten, die sie in ihren Taschen tragen. »Geräte-Fingerabdrücke« heiÃt das Zauberwort in der IT-Branche, und David Norris, der Chef einer Firma namens BlueCava aus dem kalifornischen Irvine, hat sie gegenüber dem Wall Street Journal kürzlich als die »nächste Generation der Onlinewerbung« bezeichnet. Kein Wunder, er verkauft ja solche Fingerabdrücke. 200 Millionen Geräte will er schon im Internet identifiziert haben: einzelne Handys oder Mobil- und Tablettcomputer, die sich ein wenig unterscheiden, nach ihren Spracheinstellungen und den benutzten Buchstaben, nach ihrer Zeitzoneneinstellung, nach dem Mix der Software auf diesem Rechner und so weiter.
Das Versprechen von BlueCava: Wenn eins dieser Geräte künftig eine präparierte Webseite besucht, erkennen die Fingerabdruck-Systeme es wieder â und können es mit vielen Datenbanken auf Supercomputern verbinden, wo längst eine Menge über die Gewohnheiten, Wünsche und Träume ihrer Besitzer verzeichnet ist. Noch Zweifel, dass hier der nächste »GroÃe Bruder« geboren ist? BlueCavas Werbetexter antworten darauf mit einer rhetorischen Frage. »Wäre es nicht
Weitere Kostenlose Bücher