Zeitbombe Internet
haben es da leichter, zum Beispiel Caspars Kollege in Berlin bei der Deutschen Bahn: Als dort die Datenschützer und die Staatsanwaltschaft 2009 eine Affäre um das Ausspähen von Mitarbeitern bei der Bahn untersuchten, konnten sie alle betreffenden Akten und Daten in einem Raum unterbringen. Die Daten, die Google über seine Kunden sammelt, verteilt der Konzern hingegen auf Rechenzentren in verschiedenen Ländern.
Der Alltag des Amtsleiters Johannes Caspar aus Hamburg spiegelt also ganz gut wider, wie ordentlich oder eben schlecht der deutsche Staat im grenzüberschreitenden Internet derzeit seine Aufgaben erfüllt.
Die Schwächen sind offenkundig: Internetfirmen müssen Caspar beispielsweise nicht darüber informieren, wenn sie einen neuen Dienst einführen, der personenbezogene Daten deutscher Bürger verarbeitet und auÃer Landes schafft. Das war im Hamburger Datenschutzgesetz einfach nicht vorgesehen, weil es genauso wenig wie das Bundesdatenschutzgesetz an die heutige Zeit angepasst worden ist. In Paragraph 8 heiÃt es nur lapidar: Wenn ein Unternehmen feststelle, dass durch die Art, wie es persönliche Daten verarbeiten will, »eine besondere Gefährdung für die Rechte der Betroffenen ausgeht,
ist das vor der Einführung dem behördlichen Datenschutzbeauftragten zur Stellungnahme zuzuleiten«. Also nur, wenn Unternehmer der Ansicht sind, sie bewegten sich am Rand der Legalität, sind sie aufgefordert, den Datenschutzbeauftragten der Stadt zu informieren.
Um möglichst jede Debatte mit Caspar und seiner Beamtentruppe zu vermeiden, müssen sich Google, Facebook und Co. nur ein bisschen schlau anstellen: Die Verantwortung für international strittige Fragen übertragen die Internetfirmen oft bewusst an Manager und Unternehmenseinheiten in den USA. Mitarbeiter der deutschen Tochtergesellschaften von Google und Facebook können also immer wieder darauf verweisen: Sie seien nur eine Vertriebsmannschaft für Anzeigen und für mehr nicht verantwortlich, also schon gar nicht für den Entwurf und Betrieb datenschutzrechtlich problematischer Dienste. Eine Grauzone ist entstanden. Ob Google in diesen Fragen trotzdem deutschen Gesetzen unterliegt?
In der Praxis hat sich gezeigt: Das ist Verhandlungssache zwischen Amtsleiter und Internetkonzern.
Also greift Caspar zur List. Er selbst würde das nicht so nennen â die Gegenseite schon. Im Sommer 2010 jedenfalls wird Caspar zu dem Mann, der Google Street View zum gröÃten Datenschutzskandal in Deutschland seit Jahrzehnten macht.
Es ging gleich im Mai 2010 los. Caspar ist kaum im Amt, als Google Street View eingeführt werden soll: Wer die Seiten des Internetriesen besucht und eine ganz bestimmte Adresse in einer deutschen Stadt angibt, bekommt in Zukunft ein richtiges Foto von dieser Anschrift zu sehen, samt StraÃenszene und manchmal auch Menschen darauf. Als Caspar ins Amt kam, fuhren schon Autos mit Kameras auf dem Dach durch die gröÃten zwanzig Städte in Deutschland und machten Fotos von jedem Haus, die später zu einem dreidimensionalen Stadtplan zusammengesetzt wurden. Die Bilder sind aber noch nicht alle im Kasten, und darin sieht Caspar seine Chance.
Caspar kommt den Kaliforniern erstmal sehr amtlich. Er droht mit einer Untersagungsverfügung. Er werde die Autos
aufspüren und zwangsparken, wenn Google ein paar lockere mündliche Zusagen zum Datenschutz nicht in eine schriftliche verwandle und zusätzliche Zugeständnisse mache. Eine leere Drohung? Hätte Caspar die Autos überhaupt gefunden? Keiner weià es. AuÃerdem hätte er das nur im Hamburger Stadtgebiet gedurft. In anderen Bundesländern hätten es die dortigen Datenschutzbeauftragten erledigen müssen.
Aber Caspar ist ja noch nicht fertig. Als nächstes macht er den Streit öffentlich. Er zieht Google, wie er es nennt, »in eine Diskussion«. »Ich bin ein Ãffentlichkeitsarbeiter«, sagt er. Und tatsächlich entbrennt eine breite gesellschaftliche Debatte um den Umgang mit Daten im Internet, die Caspar mit Dutzenden von Interviews und Fernsehauftritten nährt. In den darauf folgenden Monaten wird der öffentliche Druck auf Google und Facebook zu Caspars schärfster Waffe: Google macht die geforderten Zugeständnisse. Löscht alle Häuser, deren Bewohner oder Besitzer das wünschen. Verpflichtet sich, die Daten der Widersprecher nicht weiter zu nutzen. Und
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