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Zeitbombe Internet

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Titel: Zeitbombe Internet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Fischermann
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irgendwie kam sie nie. Die Ämter sind unterbesetzt wie eh und je, nicht nur in Hamburg, und so müssen sich die Angestellten darauf beschränken, Stichproben zu machen und zu reagieren, wenn ihnen etwas zugetragen wird. Das Bundesdatenschutzgesetz gibt ihnen die Regeln für die private Wirtschaft vor, eigene Landesdatenschutzgesetze regeln den Umgang mit Daten in Behörden und öffentlichen Unternehmen der Länder und Gemeinden, während die Landesdatenschützer in diesem Spiel die ausführenden Stellen sind, die in ihrem Bundesland autonom handeln.
    Was geschützt werden soll, hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 1983 einmal genauer untersucht und geurteilt: In Deutschland müssten die Leute ein Recht auf »informationelle Selbstbestimmung« haben. Die Richter leiten es aus der Menschenwürde und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht ab. Im Original des BVG-Urteils steht genau, was »informationelle Selbstbestimmung« sein soll: »Unter den Bedingungen der modernen Datenverarbeitung wird der Schutz des Einzelnen gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner persönlichen Daten von dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Artikel 2 Absatz 1 Grundgesetz in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz (Menschenwürde) umfasst. Das Grundrecht gewährleistet insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen. Einschränkungen dieses Rechts auf ›informationelle
Selbstbestimmung‹ sind nur im überwiegenden Allgemeininteresse zulässig.«
    Aus dem Juristendeutsch übersetzt: Die Bürger müssen wissen, wer ihre Daten speichert, wer sie weitergibt und warum – und sie müssen das verhindern können oder eine einmal gegebene Einwilligung zurückziehen können. Sonst lebt ein solcher Bürger nicht mehr in vollem Umfang selbstbestimmt. Das gilt heute wie vor achtundzwanzig Jahren – ist aber in der Praxis unendlich viel schwerer geworden.
    Daten sind schützenswert, weil Wissen Macht ist. Der Mensch wäre von Staaten, Unternehmen und Dritten, die in den Besitz seiner Daten kommen, unter Umständen erpressbar oder manipulierbar. Auf einer ganz nachvollziehbaren Ebene geschieht das längst. Google, Facebook und Co. filtern, was sie den Nutzern zeigen, nach bestimmten Kriterien, um aus der schieren Menge an Suchergebnissen oder Facebook-Mitgliedern oder Werbeanzeigen eine handhabbare Auswahl zu machen. Je mehr Daten gesammelt werden, desto größer ist außerdem die Gefahr, dass sie mal abhanden kommen – durch technische Fehler, kriminelles Handeln und menschliches Versagen.
    Caspar soll nun darauf achten, dass Google und Facebook dieses deutsche Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung achten. Theoretisch hat er sogar eine scharfe Waffe, um sich durchzusetzen: Im Fall der Fälle kann Caspar ein Strafverfahren einleiten; nämlich dann, wenn eine Firma persönliche Daten mit Absicht und aus Profitgier unrechtmäßig verarbeitet. Höchststrafe sind zwei Jahre Gefängnis für die Verantwortlichen. Aber das kommt praktisch nie vor. Eher verhängen Datenschützer ein Bußgeld von ein paar tausend Euro. Aber über eine amerikanische Internetfirma? Noch nie.
    Wenn er so über seine rechtlichen Möglichkeiten nachdenkt, werden die Aussagen von Caspar schärfer, aber nur in der Sache, nie im Ton, der bleibt bedächtig wie zuvor. Einen Bußgeldbescheid in den USA zustellen, das könne er sich noch vorstellen. Aber vollstrecken? »Wenn Sie in Honduras
zu schnell fahren, dann werden die honduranischen Behörden ja auch nicht nach Deutschland kommen und das dann durchsetzen.«
    Was meint er damit? »Ein wirksames Völkervertragsrecht in Datenschutzfragen zwischen den USA und Deutschland existiert nicht.« Zwar gebe es das sogenannte Safe-Harbour-Abkommen, aber das lege nur allgemeine Grundsätze beim Datenschutz fest, und man müsse sich darauf verlassen, dass Mitarbeiter der amerikanischen Wettbewerbsbehörde FTC oder des Handelsministeriums eingreifen, wenn sie erfahren, dass US-Firmen mit deutschen schludrig umgehen. Caspar kennt keinen Fall, in dem das geschehen ist.
    Caspar kriegt sowieso eine Menge nicht mit. Er selbst kann nicht einmal auf die Daten von Google und Facebook zugreifen, um ihnen beispielsweise Fehlverhalten nachzuweisen. Andere Aufseher

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