Zeitbombe Internet
Staatsphilosoph und Verwaltungsjurist, doch seine wichtigste Waffe ist die List. Als er im Mai 2009 zum obersten Datenschützer der Stadt Hamburg bestellt wird, weià Caspar genau: Es beginnt eine Zeit der ungleichen Kämpfe. Datenschützer haben allenfalls Büroklammern zur Hand, um sich gegen Riesen zu wehren.
Das sieht man schon von drauÃen. Die Hamburger Datenschutzbehörde ist im vermutlich schäbigsten Behördenbau der Stadt untergebracht. Der Büroklotz ist dunkelmausgrau, liegt in einem Hinterhof der Innenstadt, im Niemandsland nahe dem Bahnhof, weit weg von der City mit ihren schicken Einkaufspassagen, von der historischen Speicherstadt und Hamburgs lebendiger Kunstmeile. Die Knöpfe im Fahrstuhl sind so abgenutzt, dass die Zahlen darauf unleserlich geworden sind; die Laufwege der Angestellten haben sich in den LinoleumfuÃboden gerieben, und der lange Flur der Datenschützer sieht so aus, als sei er zuletzt in den achtziger Jahren erneuert worden.
Von diesem Ort aus soll Caspar nun zwei führende Hightech-Konzerne dieser Welt beaufsichtigen: Google und Facebook. Beide haben ihre Deutschland-Zentrale in Hamburg aufgeschlagen, und weil die Aufsicht eine Sache der Länder ist, fällt die Sache Caspar zu.
Aber was heiÃt hier beaufsichtigen?
Grundlage jeder modernen Demokratie ist das Versprechen, die Bürger gegen Gefahren von auÃen und innen zu schützen, Recht im Sinne der Verfassung zu schaffen und durchzusetzen, und dem Einzelnen dabei möglichst viel Freiheit zu gewähren. Während Freiheit je nach Kultur und Zeitgeist sehr unterschiedlich interpretiert wird, gilt das erste Versprechen universell, das zweite in jeder westlichen Demokratie.
Doch im digitalen Zeitalter gelingt es Staaten bislang nicht, diese Versprechen in der Weise einzulösen, wie sie es in den
vergangenen zweihundert Jahren getan haben. Das Internet verändert das Verhältnis aller Stakeholder zueinander, von Bürger zu Staat, Unternehmen zu Konsument, Staat zu Staat und Unternehmen zum Staat. »Es gibt Anzeichen dafür, dass bisher staatliche Verantwortlichkeiten internationalisiert, privatisiert oder, wo beide Prozesse verwoben sind, transnationalisiert werden«, schreiben Jeanette Hofmann von der London School of Economics und Ralf Bendrath von der Freien Universität Berlin in einem Sammelband über die Zukunft des Staatswesens im digitalen Zeitalter. Nur ein Beispiel: Der private und wirtschaftliche Alltag spielt sich zunehmend über nationale Grenzen hinweg ab â beziehungsweise in der merkwürdig flüchtigen Welt des Internets, in der nicht immer klar ist, was eigentlich wo passiert. Und der Arm der deutschen Ermittlungsbehörden reicht oft nicht bis dorthin, wo die Cyber-Kriminellen sitzen. In Bottrop könnte die Polizei einen Verbrecher problemlos festnehmen, in Ulan Bator, Peking oder Lagos nicht.
Wirklich neu sind diese Probleme im Jahr 2011 nicht. Der Staat hätte sich längst anpassen müssen. Er könnte seine Legitimität und seine Schutzfunktion unter den veränderten Bedingungen neu begründen. Warum tut er sich so schwer?
Der machtlose Beamte
Johannes Caspar macht eine seiner typischen Gesprächspausen. Dann sagt er: »Ich weià gar nicht genau, für wie viele Betriebe wir in Hamburg zuständig sind.« Es seien jedenfalls Zehntausende. »Feste Stellen haben wir 16,5. Damit sollen wir alle privaten Firmen, die öffentlichen Behörden und dazu noch die Einhaltung des Informationsfreiheitsgesetzes überwachen. «
Caspar ist ein Mann, der seine Worte sorgfältig wählt, selbst während des Redens wägt er noch und zieht einzelne Silben in die Länge, um Zeit zu gewinnen. Oder um ihnen mehr Bedeutung zu verleihen. Man kann sich durchaus vorstellen,
wie diese schlanke Gestalt durch einen norddeutschen Sturm stapft, nur begleitet von einem Hund, und wie sie gelegentlich die eckige Designerbrille in dem kantigen Gesicht zurechtrückt, und wie der früh ergraute Lockenkopf weht, während Caspar über das Wesen des Rechts nachdenkt â oder über das nächste Treffen mit Google und Co.
Das Amt des Datenschützers ist in den 1970er-Jahren entstanden, als die Informationstechnik in Unternehmen und Behörden Einzug hielt, und spätestens als in den 1990er-Jahren das Internet seinen Siegszug antrat, hätte die groÃe Stunde der Datenschützer kommen müssen â doch
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