Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
großen Scheunentor besaß sie nur wenige kleine, hoch angebrachte Fenster, so dass fünf Wachsoldaten genügten, um die fünfzig Männer drinnen an einer Flucht zu hindern. Trotz der Höhe der Raumes staute sich die Hitze; die stickige Luft mischte sich mit dem scharfen Geruch des Strohs, das den Lehmboden bedeckte und das von der Gülle der Kühe durchtränkt war, die hier bis vor kurzem gestanden hatten. Bewacher, die zweimal am Tag hereinkamen, um Wasser und Brot zu bringen, stellten dies gleich vorn auf den Boden, um die Scheune schnellstens wieder verlassen zu können.
Die Verhöroffiziere des Militärgerichts betraten die Scheune gar nicht erst. Sie hatten auf dem Hofplatz unter einer Linde einen Schreibtisch aufgestellt und ließen die Gefangenen herausbringen und in gehörigem Abstand Aufstellung nehmen, um dem Geruch, den ihre Kleidung und sie selbst angenommen hatten, nicht ausgesetzt zu sein.
Die Verhöre dauerten meist nur wenige Minuten. Wer anschließend in die Scheune zurückgebracht wurde, konnte davon ausgehen, mit dem Leben davongekommen zu sein und eine Chance zur Rehabilitierung zur erhalten. Zum Beispiel indem er einer Frontabteilung für besonders gefährliche Aufgaben zugeteilt wurde. Die Übrigen, und die waren die Mehrzahl, wurden zum Abmarsch ins Gelände befohlen. Die Gewehrsalven nach Einbruch der Dunkelheit waren in der Scheune noch deutlich zu hören, obwohl die Exekutionen mehrere Kilometer entfernt stattfanden. Die meisten der Verurteilten hatten sich der Feigheit vor dem Feind schuldig gemacht, oder – noch schlimmer – der Verbrüderung. Bei einigen wenigen war die Sachlage nicht eindeutig. Diese Fälle wurden ans Hauptquartier in Spa delegiert.
Wilhelms Fall bereitete dem Militärgericht besonderes Kopfzerbrechen. Zweimal schon war sein Verfahren vertagt worden, die Heeresleitung hatte schließlich entschieden, einen General als Beisitzer zu schicken. Die fünf Männer, die jetzt um den Schreibtisch herumstanden, an dem der hohe Gast Platz genommen hatte, beugten sich vor, um seine leise gesprochenen Worten zu verstehen: »Der Mann gilt als Held, der Kaiser hat ihm gratuliert, sein Vater gehört zum engsten Beraterkreis Seiner Majestät. So inakzeptabel das Verhalten des Mannes auch ist – wir müssen ihm Gelegenheit geben, die Sache aus der Welt zu schaffen. Holen Sie ihn heraus.«
Die Wachen öffneten das hohe, quietschende Scheunentor und betraten mit angehaltenem Atem den halbdunklen Raum, in dem die Gefangenen am Boden kauerten oder schliefen. »Von Schwemer, vortreten!«, rief der Hauptmann und hielt sich danach sofort die Nase zu. Wilhelm, immer noch in der Uniform der Husaren, die an mehreren Stellen eingerissen und stark verschmutzt war, erhob sich. Er blinzelte und hielt sich die Hand über die Augen, als er in das grelle Sonnenlicht trat.
Fünf Schritte vor dem Schreibtisch, hinter dem die Mitglieder des Gerichts sowie der General Platz genommen hatten, befahl man ihm, stehen zu bleiben. Der Schatten des mächtigen Baumes reichte genau bis zu seinen Stiefelspitzen, die Sonne schien ihm ins Gesicht.
Der Vorsitzende hielt mit zwei Fingern einen Brief in die Höhe. »Stammt der von Ihnen?«, fragte er ohne weitere Vorrede.
»Ich kann es von hier nicht erkennen.«
Mit einer Fingerbewegung fordert der Vorsitzende Wilhelm auf, näher zu kommen, was er dann jedoch sofort bereute. »Das muss genügen«, sagte er und hielt ihm den Brief mit ausgestrecktem Arm entgegen. »Sie sind Wilhelm von Schwemer, Leutnant der Reserve des 4. Husarenregiments Seiner Majestät?«
Wilhelm nickte. »Jawohl, Herr Hauptmann.«
»Und Sie sind der Meinung«, er wedelte mit dem Blatt, setzte sich dann einen Kneifer vor das rechte Auge und betrachtete einen Moment lang das Papier, »dass deutsche Soldaten sich bereitwillig abschlachten lassen sollten – von hinterhältigen Attentätern?«
»Nein, Herr Hauptmann. Erstens bin ich nicht dieser Meinung, und zweitens glaube ich nicht, dass dort etwas Derartiges steht.«
»Was erlauben Sie sich!«, brauste der Vorsitzende auf. »Anders ist das, was hier zu Papier gebracht wurde, nicht zu verstehen!«
Wilhelm schwieg.
»Antworten Sie!«
Wilhelm schwieg weiter.
»Es wäre besser für Sie, mit uns zu sprechen. Sie stehen unter der Anklage des Hochverrats, wofür es nur eine Strafe gibt, die Ihnen bekannt sein dürfte.«
Der General, der außen in der Reihe des Richtertisches saß und mit verschränkten Armen zugehört hatte, beugte sich nun
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