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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
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waren geweitet, wie er es nur einmal zuvor in seinem Leben, nahe dem Bahndamm in Togo, empfunden hatte. Er hörte seinen Herzschlag ebenso deutlich wie den Wind, der die Blätter in den Bäumen bewegte, und die Vögel, die leise ihr Abendlied anstimmten. Vielleicht war es deshalb, dass er es als Erster bemerkte. Zuerst war es nur ein kurzes Aufblitzen, das Reflektieren von Metall in einem Gebüsch auf einer Anhöhe vor ihnen. Dann sah er die Bewegung im Unterholz vor ihnen. Und dann roch er den Schweiß von Pferden.
    Als der erste Schuss fiel, lag er bereits am Boden und rollte sich mit wenigen schnellen Drehungen in einen Graben, der von Farn überwuchert war und ihn fast vollständig überdeckte. So konnte er nur hören, wie Schritte und Hufgetrappel näher kamen, er hörte die Stimmen der Wachmänner und die der Gefangenen. Und dann setzte ein ohrenbetäubendes Gewehrfeuer ein, das mehrere Minuten die Luft zerfetzte. Es mussten mindestens fünfzig Männer sein, die hier von allen Seiten die kleine Karawane beschossen. Dann war es ebenso plötzlich still, wie es begonnen hatte.
    Wilhelm hob langsam den Kopf und schob Farn zur Seite. Wenige Meter entfernt sah er Männer in belgischen Uniformen, die eilig die Waffen der am Boden liegenden Deutschen an sich nahmen. Von den Gefangenen war nichts zu sehen. Er senkte das Gesicht wieder zu Boden und wartete. Nach wenigen Minuten hörte er die Schritte der Männer, die schnell leiser wurden.
    Wilhelm erhob sich und schlich auf den Weg zurück. Die Wachsoldaten waren tot. Am Wegesrand lagen zwei der Gefangenen. Er bückte sich zu ihnen, als er hinter sich ein Geräusch vernahm. Er verharrte in der Bewegung, drehte langsam den Kopf und sah sich um. Auf dem Weg kniete einer der Gefangenen, starrte mit aufgerissenem Mund auf die Szene und gab keinen Laut von sich. Wilhelm ging zu ihm, stieß ihn sanft an und fragte: »Kamerad, bist du verletzt?« Der Mann reagierte nicht. Wilhelm trat hinter ihn und löste seine Handfessel, dann hielt er ihm seine Hände vors Gesicht und sagte: »Binde sie auf.« Mechanisch knotete der Mann die Fesseln auf und ließ sie zu Boden fallen. Wilhelm kniete sich vor ihn und fuhr mit der Hand mehrmals vor seinen Augen auf und ab. Der Mann reagierte nicht, er sah immer noch so aus, als würde er jeden Moment zu schreien beginnen. »Bist du deshalb verurteilt worden?«, fragte Wilhelm, »weil du im Kampf die Nerven verloren hast?«
    Aus der Ferne waren Stimmen, Hundegebell und Pferdegetrappel zu hören. »Sie kommen«, sagte Wilhelm, »sie haben die Schüsse gehört und werden bald hier sein. Wir können hier nicht länger bleiben. Kannst du aufstehen?« Er fasste den Mann am Arm und zog ihn hoch. »Komm!« Wie ein Schlafwandler folgte ihm der Mann. Das Restlicht des Tages reichte aus, um die Himmelsrichtung zu bestimmen. Wilhelm entschied sich für Süden – Frankreich.
    Er lief durch Gestrüpp und Unterholz, den Mann hinter sich herziehend. Die Stimmen wurden leiser, bald waren sie ganz verstummt. Als sich die Nacht über sie senkte, war an ein Weiterkommen nicht zu denken. Am Fuß eines Hügels setzte Wilhelm sichins Gras und klopfte neben sich auf den Boden: »Setz dich zu mir, heute kommen wir nicht mehr weiter.« Der Mann gehorchte wie ein verängstigtes Kind, das sich verlaufen hatte und nun demjenigen, der es gefunden hatte, blind vertraute.
    »Wie heißt du?«, fragte Wilhelm. »Ich habe dich in der Scheune nicht bemerkt. Warum haben sie dich verurteilt?«
    »Peemöller«, antwortete er zu Wilhelms Überraschung mit lauter Stimme, »Gefreiter Peemöller, sechstes Infanterie-Regiment. Komme aus Bad Harzburg. Bin verheiratet, mein Sohn ist auch beim Militär, Willi. Und du?«
    »Berlin«, sagte Wilhelm und fragte: »Wie alt bist du?«
    »Fünfundvierzig. Noch ein Jahr, und sie hätten mich nicht mehr eingezogen. Befehlsverweigerung.«
    »Was für ein Befehl?«
    Erneut verfiel der Mann in Schweigen, sein Körper wurde steif.
    »Du kannst dich an mich lehnen, wenn du müde bist«, sagte Wilhelm. »Der Boden ist feucht, besser nicht hinlegen.«
    Er setzte sich so, dass sie Rücken an Rücken saßen, und nach wenigen Augenblicken spürte er das Gewicht des Mannes.
    Wilhelm fühlte die Müdigkeit in sich heraufkriechen und versuchte, sich wach zu halten. »Morgen gehen wir über die Grenze«, sagte er, »es kann nicht weit sein. In Frankreich sind sie noch nicht, da sind wir fürs Erste sicher.«
    Der Mann antwortete nicht, Wilhelm spürte an seinem

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