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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
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Atem, dass er eingeschlafen war. Dann verlor er selbst den Kampf gegen die Müdigkeit.
    Es war stockfinster, als er erwachte. Er merkte sofort, dass sich irgendetwas verändert hatte. Er konnte nichts sehen und nichts hören, aber er fühlte es deutlich. Und dann spürte er, dass das Gegengewicht in seinem Rücken fehlte. Der Mann war verschwunden. Wilhelm sprang auf. »Peemöller!«, flüsterte er in die mondlose Dunkelheit, »Peemöller?«
    Er war sich sicher, dass er den Mann nicht wiedersehen würde. Er setzte sich auf den Boden, zog die Beine an und starrte in die Dunkelheit. In der Hosentasche spürte er den Stein und wusste, dass ihm in dieser Nacht nichts geschehen würde.
    *
    Die Sonne stand hoch am Himmel, Wilhelm war seit mehreren Stunden unterwegs und wusste nicht, ob er die Grenze zu Frankreich schon überschritten hatte. In den Feldern und Wäldern, die er am Morgen durchquert hatte, waren keine Grenzmarkierungen angebracht. Erst als er einen Feldweg erreichte, an dem ein Schild die Richtung zum Dorf Hirson wies, wusste er, dass er Frankreich erreicht hatte. Er folgte dem schmalen Sandweg mit den Augen, am Horizont zeichneten sich in der flirrenden Mittagshitze einige Häuser ab.
    Er atmete erleichtert durch, wusste aber, dass seine freudigen Empfindungen von Franzosen, auf die er treffen könne, sicherlich nicht geteilt werden würden. Zumal er immer noch in seiner Husarenuniform steckte. Er lehnte sich an einen Weidezaun und blickte nach Westen. Das Bild des belgischen Dorfes schob sich vor sein geistiges Auge. »Da hinten schlummern friedlich in ihren Betten, die Belgier, die netten«, hatte Robert mehr schlecht als recht gereimt. Jetzt schlummert dort keiner mehr friedlich, dachte Wilhelm und spürte eine Woge des Zorns in sich aufsteigen, als er an die letzten Tage dachte – das Grauen von Dinant, seine Proteste beim Bataillonschef, der ihm mit sofortiger Erschießung gedroht hatte, die Verhaftung, nachdem er sich schriftlich an das Oberkommando gewandt hatte, die Aufforderung, seine Anschuldigungen zurückzunehmen.
    Das Bellen eines Hundes ließ ihn zusammenfahren. In der Ferne sah er ein Pferdefuhrwerk den Feldweg entlangkommen. Neben dem Kutscher saß ein Hund auf dem Bock, der eine Krähe ankläffte, die am Wegrand an einem Tierkadaver zerrte. Wilhelm lief zu einer kleinen Steinbrücke, die einen nahen Bach überquerte, und verkroch sich darunter. Das Fuhrwerk kam näher, unmittelbar neben der Brücke hielt es. Unter heiserem Kläffen sprang der Hund vom Wagen und rannte zum Wasser. Wilhelm hörte, wie der Kutscher das Geschirr des Pferdes löste und mit ihm sprach. »Komm, sollst dich auch abkühlen«, sagte er und führte das Pferd ans Ufer. Plötzlich hörte Wilhelm lautes Prusten. Erblickte aus seinem Versteck – und sah den Mann im Wasser. Seine Kleidung hatte er auf einen Stein gelegt, nur wenige Schritte von Wilhelm entfernt.
    Wilhelm zögerte keine Sekunde. Als der Mann ihm für einen Augenblick den Rücken zuwandte, war er mit wenigen Schritten da und nahm die Kleidung an sich. Eine Hose, ein blaues Arbeitshemd und eine Jacke, wie sie in Frankreich fast jeder Bauer trug. Noch einen Moment verharrte Wilhelm unter der Brücke, dann verließ er im Schutz dichter Büsche sein Versteck.

Wiedersehen
    Wilhelm erreichte Hirson am späten Nachmittag. Eine Kleinstadt mit einem Marktplatz, auf den schmale, mit Kopfsteinen gepflasterte Straßen zuliefen, einstöckige Häuser, deren Fenster durch verwitterte Holzläden gegen die Sonne geschützt wurden, viele hingen nur noch an einem Scharnier und drohten jeden Augenblick herunterzufallen. Die kleinen Geschäfte im Erdgeschoss waren während der heißen Mittagsstunden geschlossen gewesen und öffneten gerade wieder. Nur wenige Menschen zeigten sich auf der Straße, die Wilhelm langsam auf der Suche nach einem Café oder Bistro entlangging. Niemand nahm Notiz von ihm. Als er den Marktplatz erreichte, schlug die Kirchturmuhr vier. Vor einem Fuhrwerk döste ein Pferd mit hängendem Kopf in der Sonne. Es trug einen Hafersack um den Hals, jemand hatte ihm einen Eimer mit Wasser hingestellt. Wilhelms Kehle brannte vor Durst. Er schöpfte mit der hohlen Hand etwas Wasser und trank. Als er gerade die Hand zum zweiten Mal ausstreckte, tippte ihm jemand auf die Schulter. »Ich hab dich hier noch nie gesehen«, sagte eine raue Männerstimme. »Wenn du durstig bist – gleich da vorn ist das Bistro.« Wilhelm drehte sich um. »Bin ich«, sagte er, »ich bin

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