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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
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Er preschte über die hundert Meter breite, kahle Uferzone auf das Wasser zu und gab dabei ein ideales Ziel ab. Trotzdem folgten Wilhelm und der Ältere ihm, das Wasser war die einzige Chance, denn hinter ihnen lag offenes Gelände. Sie hatten die Hälfte der Strecke zurückgelegt, als die Maschine um die Flusskurve kam und auf sie zuhielt. Die Garben des Maschinengewehrs spritzten im Sand, wie eine Schlange züngelten sie auf die Reiter zu. Sie verfehlten sie um wenige Meter.
    Alle drei sprangen von den Pferden, als sie das Ufer erreicht hatten, und stürmten ins Wasser, die Tiere an den Zügeln hinter sich herziehend. Es ging steil abwärts, schon nach wenigen Metern mussten die Männer schwimmen, dann auch die Pferde.
    Als sie die Mitte des Flusses erreicht hatten, ertönte am Himmel erneut das Motoren-Geräusch – die Bristol kehrte zurück und überflog die Stelle, an der die Köpfe aus dem Wasser ragten. Wilhelm sah, wie die Maschine wendete und dann dicht über dem Wasser auf sie zuraste. Kurz vor ihnen begann das Maschinengewehr zu rattern. Die Kugeln peitschten ins Wasser, wie Perleneiner Kette kamen sie auf sie zu, bis sie den Rücken eines der Pferde erreichten.
    Das Tier brüllte und bäumte sich auf. Einer der Hufe traf den jüngeren der Männer am Kopf, aus einer klaffenden Wunde schoss Blut hervor. Als Wilhelm zu ihm schwimmen wollte, spürte er, wie ihn eine Hand packte. »Weiter!«, schrie der andere, »ans Ufer!«
    Das Flugzeug kam zurück, der Kugelhagel ging neben ihnen ins Wasser. Das unverletzte Pferd schwamm einige Meter entfernt und schien eine andere Stelle des Ufers anzuvisieren. Wilhelm deutete auf das Pferd und änderte seine Schwimmrichtung, der andere schüttelte nur den Kopf und zeigte direkt nach vorn.
    Das Flugzeug kehrte zum vierten Mal zurück. Diesmal kam es nicht den Fluss entlang, sondern vom gegenüberliegenden Ufer. Als es wenige Meter vor ihnen war, begann das Maschinengewehr zu rattern.
    Wilhelm war abgetaucht. Unter Wasser klang der Aufprall der Kugeln wie Ohrfeigen, im Gegenlicht der Abendsonne sah er die Kugeln einige Meter neben sich ins Wasser zischen. Als er zum Luftholen auftauchte und sich umblickte, schwamm der Körper des Mannes in einer Blutlache, die sich rasch vergrößerte. Er rührte sich nicht mehr.
    Wilhelm blickte sich um. Hinter sich bemerkte er Bewegung im Wasser. Er wendete und schwamm darauf zu. Der Jüngere war am Ende seiner Kraft. Auf seinem Kopf klaffte eine handgroße Wunde, aus der Blut sickerte. »Hau ab!«, sagte er kaum hörbar zu Wilhelm, als der eine Hand nach ihm ausstreckte, »du kannst es schaffen! Das Flugzeug kommt nicht wieder. Schwimm hinter dem Pferd her!«
    Wilhelm schob sich stattdessen unter den Oberkörper des Mannes, der sich nur noch schwach bewegte. »Halt dich an meinem Hals fest. Gleich sind wir drüben.« Der Mann gehorchte, Wilhelm spürte seinen Arm würgend an seinem Hals und zwang sich, in langen, ruhigen Zügen zu schwimmen. Er hörte nur noch das Gurgeln des verletzten Mannes. Und dann war es plötzlich ruhig, der Arm erschlaffte, der Körper glitt von Wilhelms Rücken. Mitausgebreiteten Armen trieb er auf dem Wasser, das Gesicht nach unten, die Jacke aufgebläht.
    Wilhelm blickte zum Himmel. Das Flugzeug war nicht mehr zu sehen. Schnell durchschwamm er den Fluss, stieg aus dem Wasser und ging zu dem Pferd, das an einem Büschel trockenen Grases rupfte. »Ja, du hast Hunger«, sagte Wilhelm leise und tätschelte ihm den Hals. »Das habe ich auch.«

Das Ungeheuer
    Das Feuer, an dem Wilhelm saß, war eines von Hunderten. Eine unübersehbare Menge von Soldaten lagerte am Ufer des Flusses. Niemand hatte ihn angesprochen oder aufgehalten, als er vorübergeritten war. Auch als er sich schließlich zu den Männern setzte, blieb er unbehelligt. Man reichte ihm einen Blechnapf, in dem eine Mischung aus Getreide und fettem Fleisch schwamm. Sie roch abstoßend, doch der Hunger siegte über den Widerwillen.
    Es wurde wenig gesprochen. Immerhin erfuhr Wilhelm, dass er sich nahe der Stadt Meaux befand. Er hob eines der Flugblätter auf, die im Nachtwind über den Boden wehten. Unterzeichnet war es von Joseph Joffre, dem kommandierenden General der französischen Armee. Der Text war kurz: Wenn eine Schlacht geschlagen wird, von der das Leben des Landes abhängt, müssen wir uns alle daran erinnern, dass wir nicht mehr zurückschauen dürfen , las Wilhelm. Alle Anstrengungen müssen darauf gerichtet sein, den Feind zurückzuschlagen.

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