Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
würde für lange Zeit seinen blutigen Festschmaus genießen.
Er machte sich auf den Weg. Ohne zu zögern, wandte er denMännern, die auf beiden Seiten des Flusses ungeduldig darauf warteten, sich dem Ungeheuer in den Rachen zu stürzen, den Rücken und ging in die Dunkelheit.
Ewigkeit
Adèle ging sparsam mit der Gaslampe um. Der Kellerraum war fensterlos, die Luft schnell verbraucht. So saß sie im Dunkeln, nur durch den Türspalt drang schwaches Licht. Es gab einen guten Grund, die Lampe nicht zu entzünden: Helène erwartete Besuch – jemand, der besser nicht davon erfuhr, dass sich eine weitere Person im Haus befand. Und vor allem nicht, wer diese Person war.
Nach der Rückeroberung Lagardes durch die Deutschen war wieder Ruhe in Helènes Haus eingekehrt. Allerdings hatte sie jetzt einen ständigen Gast, der sich nur in den Abendstunden, wenn die Fensterläden geschlossen waren, aus dem Keller in die oberen Räume wagte: Das Gutshaus war der einzige sichere Ort für Adèle – außer an den Tagen, an denen der Statthalter erwartet wurde.
Johann von Drewitz hatte es sich zur Gewohnheit werden lassen, Helène einmal in der Woche seine Aufwartung zu machen und ihren Weinen sowie Kochkünsten ausgiebig zuzusprechen. Die Fahrzeuge seiner Begleitung standen dann in der Auffahrt, die Männer warteten in der Halle. Heute war wieder ein Drewitz-Tag.
Zu Helènes Überraschung kam er ohne Geleitschutz. »Ganz allein durch Feindesland?«, fragte sie süffisant, als er in der Tür stand. »Und mit einem Blumenstrauß! Ich bin gerührt – falls er für mich sein sollte.«
Drewitz lächelte und schlug die Hacken zusammen. »Ich sehe ansonsten niemanden hier, für den er sein sollte, Madame.«
Helène nickte und bat ihn herein.
Nach wenigen Schritten blieb er stehen und reckte den Kopf in die Höhe: »Dieser Duft! Niemand kocht so raffiniert mit Rotwein wie Sie. Haben Sie das in Berlin gelernt?«
»In Berlin kann man vieles lernen, das eher nicht«, erwiderte Helène und bat ihn in den Salon. »Einen Aperitif vorweg?«
Er nahm dankend an. »Nun sagen Sie mir schon, warum Ihre charmanten Begleiter heute Ausgang haben«, sagte sie. »Ich hatte mich schon an sie gewöhnt.«
Drewitz sah zu Boden. »Wie soll ich sagen …«, begann er. »Manchmal hat ein Mann den Wunsch, ungestört mit der Dame seines Herzens zusammen zu sein.«
»Dame seines Herzens?«, wiederholte Helène und sah sich im Raum um. »Ich habe sie noch gar nicht bemerkt. Wo ist sie denn?«
»Helène«, sagte von Drewitz mit belegter Stimme, »machen Sie sich nicht lustig über mich. Bitte! Ihnen wird sicherlich nicht entgangen sein, wie viel Sie mir bedeuten.«
»Ich glaube, ich sollte in der Küche nach dem Rechten sehen«, sagte Helène schnell. »Ich vermute, einen angebrannten Rehrücken möchten Sie nicht gern auf Ihrem Teller …«
Sie verließ den Raum, von Drewitz zündete sich eine Zigarette an. Er sah aus dem Fenster, auf die verwilderten Weinstöcke, an denen nur wenige, kleine Trauben hingen. »Soll ich Ihnen Leute vorbei schicken, die da mal wieder Ordnung schaffen?«, rief er.
»Ordnung? Wo?«
»Im Weinberg. Das ist doch das mindeste, was ich als Statthalter für meine Schutzbefohlenen tun kann. Der schöne Wein! Apropos: Welchen trinken wir heute?«
Helène war ins Esszimmer gegangen und trug das Essen auf. »Viel ist nicht mehr da«, antwortete sie. »Von den Jahrgängen Zehn und Elf noch ein paar Flaschen. Ich persönlich würde den Zehner vorziehen.«
»Dem schließe ich mich selbstverständlich an«, sagte von Drewitz. »Ist er noch im Keller?«
Helène nickte. »Ich hatte noch keine Zeit, ihn heraufzuholen. Sie wissen ja, wo er steht. Wenn Sie die Güte hätten …«
»Selbstverständlich!« Von Drewitz knallte erneut die Hacken zusammen und eilte zur Kellertreppe.
Adèle wagte kaum zu atmen, als sich die Schritte ihrem Versteck näherten. Sie hatte alles mitgehört, ihre Hände zitterten. Sie presste sie zwischen die Knie und kniff die Augen zu.
Im Kellerraum nebenan hörte sie von Drewitz mit Flaschenklappern, dann fiel die Tür ins Schloss, er ging zurück. Vor der Tür, hinter der Adèle saß, blieb er stehen. Für einen Moment war kein Laut zu hören, Adèles Handflächen schwitzten, sie zählte leise die Sekunden. »Die falschen!«, rief von Drewitz plötzlich, »ich habe die falschen Flaschen gegriffen! Es ist einfach zu dunkel hier unten.« Sie hörte, wie er noch einmal in die Weinkammer zurückging und einen
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