Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
lächelte sie dankbar an.
»Man sieht, dass du kein Bauer bist«, meldete sich einer der Männer zu Wort. »Warum haben sie dich mitgenommen? Was kannst du, wofür brauchen sie dich?«
Wilhelm warf eine geschälte Kartoffel in die Wanne und nahm eine neue. »Keine Ahnung«, sagte er, »und ihr?«
»Sie haben aus allen Dörfern welche mitgenommen. Bauern sind für alles zu gebrauchen. Die anderen, die vor ihnen durchkamen, sind vorbeimarschiert, als wäre der Teufel hinter ihnen her. Diese hier haben die Ruhe weg.«
»Sollen sie«, sagte ein Dritter, »aber nicht mehr lange! Unsere werden in wenigen Tagen hier sein, und dann werden sie sehen, was passiert, wenn man das Maul zu weit aufreißt. Scheißdeutsche, sollen an ihren Kartoffeln ersticken!«
Von draußen wurde gegen das Scheunentor gehämmert. »Ruhe da drinnen! Und beeilt euch, wir haben Hunger!«
Wieder schluchzte eine der Frauen. »Wer kümmert sich um meine Kinder? Sie sind allein, sie werden Angst haben. Es werden mehr Deutsche kommen.«
»Also noch mal: Warum bist du hier, wenn du nicht mal Kartoffeln schälen kannst?«, wiederholte der Mann, der Wilhelm gegenübersaß. »Sollst du uns ausspionieren?«
»Ich war auf der Flucht, und sie haben mich aufgegriffen. Ich komme aus Belgien«, antwortete Wilhelm wahrheitsgemäß.
Alle sahen ihn an. »Und?«, fragte einer, »stimmt es, was man hört? Ist es wirklich so schlimm dort?«
Das Scheunentor wurde aufgerissen. Mehrere Soldaten stürmten herein. »Jetzt reicht’s!«, schrie einer von ihnen. »Entweder ihr redet deutsch, damit man euch verstehen kann, oder ihr haltet das Maul!« Er rammte Wilhelm seinen Gewehrkolben in den Rücken. »Und da ihr nicht gehorchen könnt, muss jetzt einer dran glauben. Und das bist du!«
Wilhelm wurde unsanft hochgerissen und ins Freie geführt. »Da rüber!«, befahl man ihm und stieß ihn zu einem der Häuser. Einer der Soldaten klopfte an die Tür, die sofort geöffnet wurde. »Befehl ausgeführt!«, sagte er zu dem Offizier, der vor ihnen stand.
»Wegtreten«, schnarrte der. Die Soldaten entfernten sich, der Offizier trat dicht vor Wilhelm. »Du hast gehört, was mit Bauern passiert, die zu viel reden.«
Er zog eine Zigarettenschachtel aus seiner Uniformjacke und bot Wilhelm eine Zigarette an. »Leider können nur wenige hier beide Sprachen verstehen, du gehörst dazu.« Er reichte WilhelmFeuer. »Ich habe sofort gesehen, dass du kein Bauer bist. Und ich will gar nicht wissen, was du bist und woher du kommst. Es gibt Wichtigeres. Du wirst etwas für uns erledigen.«
Wilhelm inhalierte tief und blies den Rauch über den Kopf des Mannes hinweg. »An der Art, wie du die Zigarette hältst, sehe ich, dass du dafür geeignet bist«, fuhr der Offizier fort. »Morgen früh wirst du die Marne überqueren. Sie fließt gleich da vorn.« Er deutete ins Dunkel. »Wir müssen wissen, wie weit die Franzosen noch entfernt sind. Du wirst es herausfinden, du bist einer von ihnen und sprichst ihre Sprache. Und damit du auch wirklich zurückkommst und uns berichtest, werden dich zwei Männer begleiten. Ich nehme an, du kannst reiten?«
»Jeder Bauer kann das«, erwiderte Wilhelm.
Der Offizier lächelte amüsiert. »Wie gesagt: Bauer oder nicht, das spielt keine Rolle. Um fünf Uhr ist Aufsitzen.«
Er wandte sich zum Gehen, die Soldaten, die ihn aus der Scheune geholt hatten, traten wieder hinter Wilhelm. »Und noch etwas«, sagte der Offizier, »die beiden, die dich begleiten, sind keine Bauerntrottel. Tu nichts, was sie verärgern könnte, denn das schlägt auf dich zurück.«
*
An ihren Uniformen erkannte Wilhelm, dass die beiden Soldaten, die ihn begleiteten, Nachrichtenoffiziere waren. »Wir werden uns einander nicht vorstellen«, erklärte der Ältere der beiden, ein Mann von Mitte vierzig, als sie um Punkt fünf Uhr drei Pferde bestiegen, die am Ausgang des Dorfes bereitstanden. »Wir werden uns hinter die feindlichen Linien begeben, da ist es besser, nicht zu viel voneinander zu wissen. Können Sie mir folgen?«
»Ein wenig«, erwiderte Wilhelm, »ich habe lange nicht deutsch gesprochen.«
Die beiden wechselten einen Blick. »Na ja, wichtiger ist, dass Sie die Franzosen verstehen. Dann werden wir schon Wege finden, uns zu verständigen. Kennen Sie die Gegend hier?«
»Kaum, ich stamme aus dem Norden.«
Schweigend ritten sie nebeneinander in den anbrechenden Taghinein, Wilhelm in der Mitte. Sie schienen keine besondere Eile zu haben, von Zeit zu Zeit bot der
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