Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Krankenschwester sind.«
*
»Das kann ich bestätigen!«, sagte Robert, der Charlottes Erzählung gelauscht hatte, ohne sie zu unterbrechen. »Und haben Sie vom Angebot des Pfarrers Gebrach gemacht?«
Charlotte nickte. »Deshalb bin hier. Dies ist ein katholisches Lazarett, er hat mich hierher vermittelt.«
Dann berichtete Charlotte von den wirren Tagen, als erst die Engländer und dann die Franzosen in Togo einmarschierten und die wenigen deutschen Polizisten im Handumdrehen überwältigten. »In Lomé wurden alle deutschen Flaggen ausgetauscht«, sagte sie. »Und die Eingeborenen müssen sich nun an die Sprache ihrer neuen Herren gewöhnen.«
»Ihrer Herren?«
»Ja«, sagte Charlotte, »ob Engländer, Franzosen oder die Deutschen – für sie alle sind die Schwarzen die Arbeitskräfte. Und sonst nichts.«
»Aber Sie sehen das anders?«
Charlotte überlegte, dann antwortete sie: »Am Tag, als die Kampfhandlungen begannen, erreichte ein Funkspruch die Station, der uns darüber informierte. Alle Weißen hasteten zum Zug, es gab nur ein Ziel: so schnell wie möglich das Land verlassen. Ich wollte bleiben, ich wollte bei meinen Frauen bleiben, bei Cäcilie.«
»Cäcilie?«
Charlotte lächelte. »Mein Pinselohrschwein. Aber irgendwann saß ich auch im Zug und fuhr Richtung Küste. Denn nicht nur die Weißen verschwanden, auch die Eingeborenen. Plötzlich waren alle weg, selbst die Schwerkranken. Nur die Schweine blieben. Als ich aus dem Zugfenster sah, stand Cäcilie am Bahnsteig.«
Robert bemerkte, dass sie den Tränen nahe war und wechselte das Thema: »Und in Lomé? Haben Sie Ihren Vater und den Freiherrn gefunden?«
Sie schüttelte den Kopf. »Das letzte Schiff, das ablegte, war voller Deutscher, die versuchten, ihr sämtliches Hab und Gut unterzubringen. Es passten gar nicht alle unter Deck, viele nächtigten auf dem Sonnendeck. Mein Vater und der Freiherr waren nicht dabei. Angeblich haben sie das Land über Kamerun verlassen, sagte der Kapitän.«
»Und der Pater, wie haben Sie den wiedergetroffen?«
»Er war auch an Bord. Er erneuerte sein Angebot. Und hier bin ich nun.«
»Sie sagen das so fröhlich, als wären wir auf Urlaub hier.«
Sie sah ihn schuldbewusst an. »Das tut mir leid«, sagte sie, »was ich meine, ist: Ich kann jetzt nicht zu Hause sein und nichts tun, wenn hier so viele Menschen Hilfe brauchen – Menschen wie Sie. Und vielleicht auch Wilhelm.«
Robert sah die unausgesprochene Frage in ihren Augen. »Ich weiß nicht, wo er ist«, sagte er, »ich weiß nur, wann ich ihn zuletzt gesehen habe.« Und er erzählte ihr von Wilhelms Verhaftung und davon, dass er aus dem Militärgefängnis entkommen sei.»Seitdem verliert sich jede Spur. Ich gäbe alles darum, zu wissen, wo er ist.«
»Er lebt«, sagte Charlotte mit einer Bestimmtheit, die Robert verblüffte, »das fühle ich. Ich glaube, er ist gar nicht weit von hier …«
Einen Augenblick hing sie ihren Gedanken nach, dann riss sie sich zusammen und sagte munter: »Und wie ist es Ihnen ergangen, seit Sie ihn zuletzt gesehen haben?«
Robert versuchte zu lachen, der Schmerz, der dabei in seinen Beinstumpf schoss, ließ ihn jedoch das Gesicht verziehen.
»Was haben Sie?«
»Die Frage!«, erwiderte er dann. »Sie sehen doch, wie es mir ergangen ist – mir und unzähligen anderen. Und viele hat es noch schlimmer getroffen, sie sind gar nicht erst herausgekommen aus den Gräben und Unterständen! Erst war es die Marne: Wenn wir die schaffen, schaffen wir auch Paris, hieß es. Dann war es die Maas. Da sagte man dasselbe. Und jetzt werden sie sich vor Verdun eingraben. Wie viele haben in dieser kurzen Zeit ihr Leben gelassen?« Er versuchte, sich hochzustemmen, und starrte Charlotte an. »Dreihunderttausend? Vierhunderttausend? Glauben Sie mir, Sie werden noch viele Beine abzunehmen haben – hier und in anderen Lazaretten.« Erschöpft ließ er sich zurücksinken und fragte: »Was geschieht eigentlich anschließend damit? Kommen die alle in die Feldküche?«
Charlotte schwieg und sah zu Boden. »Es tut mir leid. Ich sitze hier und erzähle Ihnen von niedlichen Schweinen, und Sie …«
»Schon gut«, unterbrach Robert sie, »ich bewundere Sie. Ich bewundere all die jungen Frauen und Männer, die hier ihr Bestes geben. Seit wann sind Ärzte eigentlich so jung?« Er deutete auf einen jungen Mann im weißen Kittel.
»Das sind Medizinstudenten«, erwiderte Charlotte mit gedämpfter Stimme, »zweites Semester. Sie werden Feldunterärzte
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