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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
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im Haus mit ihren Brüdern und dem Personal, fühlte sie sich verlassen und hilflos. Sosehr sie sich stets über ihn geärgert hatte: Die Präsenz dieses dröhnenden, scheinbar unerschütterlichen Mannes hatte ihr auch immer ein Gefühl von Sicherheit gegeben, die jetzt fehlte. Die gelegentliche Post von ihrer Mutter half da nicht viel.
    Seit Beginn der Kämpfe in Elsass-Lothringen waren die Briefe dann ganz ausgeblieben. Elisabeths einzige verlässliche Verbindung zur früheren Welt der Familie war Helene Bechstein, auf deren gelegentliche Besuche sie sich freute. Die Entwicklung der kleinen Luise zu beobachten, das Kind im Arm zu halten – das waren die Momente, in denen sie vergaß, dass die Welt um sie herum in ihre Einzelteile zerfiel.
    Eines Abends, als sie sich mit den Bechsteins zu Tisch gesetzt hatte und Luise das Essen auftrug, fragte sie unvermittelt: »Helene, haben Sie eigentlich schon Ersatz für Ihr Hausmädchen gefunden?«
    »Nein, ich werde wohl demnächst die Parade der Bewerberinnen über mich ergehen lassen müssen. Ich habe bereits eine Annonce aufgegeben.«
    Elisabeth nickte bedächtig und sah lange Luise an, die hinter Helene Bechstein stand und versonnen auf das Kind blickte, das auf einem Kissen in einem Sessel schlief – ihr Kind.
    »Warum fragst du?«, sagte Helene Bechstein. Dann bemerkte sie, dass Elisabeth unverwandt über ihren Kopf blickte und drehte sich um. »Luise? Du meinst …«
    *
    Robert saß am Fenster in dem Ohrensessel, der sonst dem Hausherrn vorbehalten war, und sah in den winterlichen Garten hinaus. »Seit zwei Monaten arbeitet Luise nun bei den Bechsteins«, erzählte Elisabeth ihm, »sie war sofort einverstanden gewesen. Sie ist glücklich, ihr Kind jeden Tag sehen zu können. Alle sind glücklich.«
    »Nur du nicht«, antwortete Robert und sah sie mitfühlend an. »Du vermisst sie, nicht wahr?«
    Elisabeth nickte. »Aber ich bin froh, dass du wieder da bist und hier vor mir sitzt, leibhaftig und lebendig! Als du vorhin vor der Pforte standst, wäre ich fast in Ohnmacht gefallen.«
    In diesem Moment klappte die Haustür, und die beiden Jungen kamen herein, ihre Schulranzen noch auf dem Rücken. Schüchtern blieben sie im Raum stehen.
    »Seht, wer hier ist!«, rief Elisabeth und winkte sie herbei.
    Sie sahen unsicher auf die Rückseite des Ohrensessels. »Wilhelm!«, riefen sie dann und stürmten auf ihn zu. Als sie um den Sessel herumgelaufen waren und sahen, wer darin saß, stieß Adalbert einen Schrei aus, und Karl hielt sich die Hand vor den Mund. Beide starrten auf Roberts Beine.
    »Es gibt Schlimmeres«, sagte Robert, um einen heiteren Tonfall bemüht, »andere laufen ohne Kopf herum!«
    Die Jungen sahen ihn entsetzt an, so dass Elisabeth eilig hinzufügte: »Das hat er aus Spaß gesagt! So was gibt es nicht wirklich.«
    »Wo ist Wilhelm?«, frage Karl, der Jüngere der beiden, »hast du ihn mitgebracht?«
    Robert schüttelte bedauernd den Kopf. »Er ist noch dort, wo ich auch war, und er hat noch beide Beine. Aber wo genau er jetzt ist, das weiß ich nicht. Es geht ihm sicherlich gut. Ganz bestimmt sogar! Er ist der Tapferste von allen, ihm kann nichts passieren.«
    »Und wenn doch?«, fragte Karl.
    »Dann darf er auch nach Hause. So wie ich.«
    »Aber dann hat er auch keine Beine mehr …«
    »Eines habe ich ja noch!«, sagte Robert und klopfte mit der Hand auf seinen rechten Oberschenkel.
    »Und wo ist das andere jetzt?«
    »Karl!«, mischte sich Elisabeth ein, »woher soll er denn das wissen? Er hat es verloren.«
    Verwirrt sah Karl zwischen Robert und seiner Schwester hin und her. »Wie kann man denn ein Bein verlieren? Das muss man doch merken!«
    Adalbert stieß seinen Bruder mit dem Ellenbogen an. »Dummkopf!«, sagte er. »Verlieren – das sagt man nur so. In Wirklichkeit ist es weggeschossen.«
    Robert nickte. »Soll ich euch die Geschichte erzählen?«
    Elisabeth ging in die Küche, um das Mittagessen für die Jungen zu machen, eine Aufgabe, die bis vor kurzem Luise wahrgenommen hatte. Sie fühlte sich gut dabei, und sie hatte den Eindruck, dass es ihnen gefiel, von ihrer Schwester umsorgt zu werden. Am Abend hatte Karl sie beim Schlafengehen schüchtern gefragt: »Bleibst du jetzt bei uns in Berlin?«
    »Ja, Karl, bis alle wieder hier sind. Und wenn du willst, noch länger.«
    Aus dem Salon hörte sie Adalbert jetzt fragen: »Wie lange dauert der Krieg noch? Wann kommen alle wieder nach Hause?«
    »Er sollte schon längst vorüber sein, im Herbst, hat

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