Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Reinshagen erhob sich, füllte die Gläser und sagte: »Auf die Weisheit und Umsicht unseres Kaisers!«
*
Charlotte merkte schnell, dass die Klinik in Anecho nicht das war, was sie gehofft hatte: Schwarze kamen ihr hier nur als Dienstpersonal unter die Augen. Die Patienten waren ausschließlich Offiziere und Kaufleute aus den verschiedenen Handelsstationen und Stützpunkten des Landes. Die meisten von ihnen litten am Tropenkoller. Reinshagen bemerkte Charlottes Irritation. »Auch diese Krankheit muss man ernst nehmen«, erklärte er ihr. »Wenn verdiente Männer des Reiches angesichts der Strapazen, die dieses Land ihnen aufbürdet, allzu häufig dem Branntwein zusprechen – nun, dann ist das ein ernstes Problem, bei dem ihnen geholfen werden muss wie jedem anderen Patienten auch. Da machen wir keinen Unterschied.«
Charlotte nickte ergeben und sah auf ihre Hände. Insgeheim hatte sie schon nach wenigen Tagen den Entschluss gefasst, das Eingeborenen-Hospital in Palime, dem am weitesten entfernten und mit der Eisenbahn erreichbaren Plantagenort des Landes, zu besuchen und dort zu bleiben. Einmal in der Woche fuhr einer der Ärzte von Anecho aus dorthin, um Medikamente zu bringen und nach dem Rechten zu sehen. Das Spital wurde von Rotkreuz-Schwestern geleitet, Ärzte gab es dort nicht.
Professor Reinshagen reagierte zunächst verwundert, als Charlotte ihm einige Tage später ihren Wunsch vortrug. »Gefällt es Ihnen bei uns nicht?«, fragte er. »Waren die Neger aufsässig zu Ihnen?«
Sie lächelte. »Nein, im Gegenteil!«, antwortete sie. »Ich möchte mehr vom Land kennenlernen. Mein Vater sieht das ebenso.« Er habe ihrem Plan bereits zugestimmt.
»Keiner weiß genau, wo er sich im Augenblick aufhält, er istmit dem Freiherrn auf Inspektionsfahrt im Westen Togos. Aber wenn er Ihr Vorhaben unterstützt – wer bin ich, es Ihnen auszureden …?« Theatralisch warf er die Arme in die Höhe und rief: »Sie haben sogar völlig recht! Ich war schon viel zu lange nicht mehr dort, vielleicht sollte ich die Reise nach Palime diesmal selbst übernehmen. Die Zugfahrt dorthin ist ein Erlebnis! Eine schönere Landschaft gibt es nirgendwo sonst auf der Welt … Sie werden begeistert sein!«
Reinshagen war dann doch verhindert, ein Assistenzarzt wurde mit der Reise beauftragt. »Wissen Sie, es sind nur 200 Kilometer«, erklärte er Charlotte, als sie im Salonwagen des Zuges Platz genommen hatten und ein Einheimischer ihnen Tee serviert hatte. »Aber schon auf einer so kurzen Fahrt sieht man, warum die Afrikaner ohne unsere Hilfe verraten und verkauft wären. All die herrlichen Plantagen dort draußen – ohne uns wäre es öde Savanne! Dieses Land würde immer noch den Löwen und den fliegenden Hunden gehören.«
»Fliegende Hunde?«
Der junge Arzt, der für die Reise eine blütenweiße Tropenuniform angelegt hatte, beugte sich zu ihr und erklärte: »Wir haben achtzehn verschiedene Sorten Fledermäuse hier. Unter anderem die größten der Welt – es wurden schon welche gesehen, die einen Meter Spannweite haben. Man hört sie nicht, wenn sie herangleiten – aber plötzlich sitzen sie einem im Nacken! Da muss man dann schon schnell mit dem Säbel sein, um sie zu erwischen, bevor sie zubeißen.«
Charlotte sah ihn entsetzt an. Er nickte bekräftigend. »Aber keine Angst«, er ergriff ihre Hand, »wenn Sie sich an mich halten, werden sie Sie nicht belästigen.«
Charlotte zog ihre Hand zurück. Sie hatte diesen jungen Arzt vom ersten Tag an nicht gemocht, seit er ihr bei einem Rundgang übers Krankenhausgelände erklärt hatte, dass man neuerdings amerikanische Neger importiere, um den Einheimischen beizubringen, wie man richtig arbeitet. »Wozu erziehen wir die Neger?«, hatte er gesagt. »Zur Reinlichkeit? Auch. Zum Christentum? Auch. Zu Ehrlichkeit und Pünktlichkeit? Auch das, ja. Aber das Wichtigste: Sie müssen lernen, zu arbeiten! Und das« – er sah Charlotte verschwörerisch an –, »das liegt ihnen ganz und gar nicht! Schnaps und Faulenzen – das ist es, wofür der Neger zu begeistern ist. Aber dass es ohne Arbeit keinen Schnaps gibt – das begreift er nicht.«
»Trinken wie die Weißen, ja?«, hatte sie erwidert.
»Woher haben Sie denn das!?«, fragte er entrüstet.
»So sagt man doch hierzulande, oder? Das ist das große Ziel, das alle anstreben. Schwarze wie Weiße.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich bin entsetzt – und ich möchte wissen, wer so etwas in Welt setzt!«
Charlotte sagte nicht, dass es
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