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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
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genannt. So viele richtige Ärzte, wie hier gebraucht werden, gibt es nicht.«
    »Und die nehmen schon Beine ab?«, fragte Robert und sah dem Studenten nach. Dabei fiel sein Blick auf einen Verletzten mit einem Kopfverband, der am anderen Ende der Baracke inseinem Bett saß und zu ihm herüberstarrte. Robert starrte zurück. Das Gesicht kam ihm bekannt vor, soweit er es unter dem Verband erkennen konnte. »Was ist?«, fragte Charlotte, »wo sehen Sie hin?«
    »Ich bin mir nicht sicher«, sagte Robert leise, »aber ich glaube, der da« – er deutete auf den Soldaten – »der ist es, mit dem Wilhelm in Dinant aneinandergeraten ist. Ein Grenadier aus Bayern.«
    *
    Roberts Fieber ging rasch zurück, der Schmerz wurde erträglicher. Nach zwei Wochen befand ihn der Stabsarzt für transportfähig. »Der nächste Zug gehört Ihnen!«, sagte er jovial, »und dann heißt es: Prothese aussuchen! Sauerbruch hat ganz neue Modelle entwickelt – man merkt kaum noch einen Unterschied. Und wenn Sie damit laufen wie ein junger Gott, kommen Sie wieder – wir können an der Front jeden tüchtigen Mann gebrauchen, Herr Leutnant!«
    Robert sah ihn sprachlos an. »War nur ein Scherz«, beeilte sich der Stabsarzt zu sagen, »kleiner Scherz! Für Sie ist der Krieg zu Ende. Viele werden Sie beneiden.«
    Charlotte, die hinter ihm gestanden hatte, verdrehte die Augen und sagte zu Robert, nachdem der Arzt zum nächsten Bett gegangen war: »Er meint es gut, er denkt, es wirkt aufmunternd!« Bevor sie dem Arzt folgte, sagte sie noch rasch: »Etwas hätte ich fast vergessen. Auch ich werde nicht mehr lange hier sein: Ich werde in ein anderes Lazarett versetzt. Wahrscheinlich an dem Tag, an dem Sie den Zug besteigen.«
    »Besteigen?«, fragte Robert.
    »Na ja«, entgegnete sie, »man wird Sie hineintragen, gehen geht ja noch nicht. Aber glauben Sie mir: In spätestens drei Monaten können Sie sich wieder fast so bewegen wie früher. Selbst reiten …«
    Robert winkte ab. »Danke für alles«, sagte er und drückte ihre Hand, »aber für Märchen bin ich mittlerweile etwas zu alt. Ich weiß, wie es um mich steht, und ich bin dankbar, dass ich überhaupt überlebt habe. Ohne Ihre Hilfe …«
    Sie erhob sich: Der Stabsarzt winkte nach ihr. Robert ließ seinen Kopf auf das Kissen sinken und dachte an Wilhelm. Er merkte nicht, wie der Schütze Huber weiter unverwandt zu ihm herübersah.

Eheliche Treue
    Das Haus Nummer 11 in der Gneisenaustraße sah unverändert aus. Wuchtig, schneeweiß und einladend. Robert war vom Lazarett in der Thüringer Allee mit dem Taxi gekommen, verwundeten Offizieren standen sie kostenlos zur Verfügung. Doch schon die wenigen Schritte zur Pforte der Villa fielen ihm schwer – gestützt auf zwei Krücken, die er unter die Achseln geschoben hatte, stand er vor der weißen Pforte und atmete schwer. Er bereute schon fast, das Krankenbett verlassen zu haben. Was sollte er ihnen sagen? Er wusste nichts von Wilhelms Verbleib, und seine eigene Geschichte – der Kampf an der Marne, die Granate, die sein linkes Bein zerfetzt hatte – bot ebenfalls wenig aufmunternden Gesprächsstoff.
    Der Gedanke, Elisabeth zu sehen, überwog jedoch alle Bedenken.
    Er stand zögernd vor dem Anwesen, als die Tür geöffnet wurde und Elisabeth aus dem Haus trat. Sie hatte den Einbeinigen schon eine Weile durch das Fenster beobachtet und sich aus Furcht davor, es könne ihr Bruder sein, nicht zu rühren gewagt. »Wilhelm?«, sagte sie nun und beugte sich vor, als könne sie ihn dann besser erkennen. »Wilhelm?!« Ihre Stimme überschlug sich, sie lief die gepflasterte Auffahrt zum Tor, um dann kurz vor der Pforte abrupt stehen zu bleiben. Sie starrte Robert an, öffnete ihren Mund und brachte keinen Ton heraus.
    *
    Elisabeths Rückkehr nach Berlin einen Monat zuvor war überstürzt verlaufen. Ein Brief von Sophie, der Haushälterin, hatte sie veranlasst, Hamburg zu verlassen: Die Nachricht, dass die beiden Jungen, zwar unter der Obhut einer Erzieherin, allein im Haus waren, da die Mutter in Frankreich und der Vater weiterhin in Togo weilten, ließ ihr keine andere Wahl. »Was ist denn das für ein Vater?«, hatte Friderike empört gefragt, »die Welt stürzt ins Chaos, und er reist in der Gegend herum!«
    »Er reist nicht herum – er rettet die Welt!«, hatte Elisabeth sarkastisch geantwortet. Ihre Meinung über ihren Vater und über die Männer im Allgemeinen war während der Monate in Hamburg eher noch distanzierter geworden. Nun jedoch, allein

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