Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
uns?«, fragte eine kräftige Männerstimme, eine Hand schlug abwechselnd auf seine linke und rechte Gesichtshälfte. Der Arzt lächelte nicht, als Robert die Augen aufschlug, sondern blätterte ernst in einem Stapel Papiere, die auf eine Schreibunterlage geklemmt waren. Als er bemerkte, das seine Aufweckbemühungen doch noch erfolgreich gewesen waren, rief er: »Na, endlich!Ich kann hier nicht ewig bei Ihnen stehen! Es warten noch andere auf mich, viele andere. Sobald Ihr Fieber gesunken ist, werden Sie mit dem Zug in die Heimat gebracht, dort gibt es Speziallazarette für Beinpatienten. Woher stammen Sie?«
»Berlin«, antwortete Robert.
Der Arzt nickte, als hätte er es vorher gewusst. »Die Krankentransporte nach Berlin gehen jeden Montag. Entweder, Sie liegen schon im nächsten Zug, sonst spätestens im übernächsten. Wird schon, Herr Leutnant, wird schon!« Er legte eine Hand auf Roberts Schulter, dann wandte er sich ab und ging weiter zum nächsten Bett.
Die Schwester, die Robert bereits kannte und die den Arzt begleitet hatte, blieb einen Moment an seinem Bett stehen. »Ich komme bald zu Ihnen«, sagte sie leise. Dann entschwand sie aus Roberts Blickfeld.
Er schlief, als sie zu ihm zurückkam. Er spürte ihre Anwesenheit an ihrem Duft. »Robert?«, sagte sie, als er die Augen öffnete. »Robert von Trenck?« Er nickte. »Mir ist erst heute klargeworden, wer Sie sind. Sind Sie wirklich der Robert von Trenck?«
»Vermutlich«, antwortete er, »ich kenne keinen anderen.«
»Charlotte von Doering«, sagte sie, »ich nehme an, Sie kennen meinen Namen.«
Roberts Augen weiteten sich, er starrte sie ungläubig an. »Wilhelm?«
Sie nickte.
»Wie … was tun Sie hier?«, fragte er. »Wie kommen Sie hierher? Wo ist er?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Das möchte ich auch wissen. Keiner weiß es. Er ist wie vom Erdboden verschwunden.«
»Und Sie? Warum sind Sie hier?«
»Hat er es Ihnen nicht erzählt? Ich bin mit meinem Vater nach Togo gereist und habe dort als Krankenschwester gearbeitet. Jetzt arbeite ich hier.« Sie deutete auf das lederne Amulett. »Das hat eine Freundin für mich gemacht, bevor ich Togo verlassen musste.«
»Was ist dort geschehen?«, fragte Robert.
»Der Krieg«, antwortete sie. »Männer verlieren nicht nur hierihre Beine oder ihr Leben – auch dort. In Togo ist er schon vorbei, er hat nur wenige Tage gedauert. Jetzt gehört das Land den Franzosen und den Engländern.«
»Und die Deutschen?«
Charlotte ergriff seine Hand. »Ich komme in meiner Mittagspause wieder.« Sie erhob sich, ihre Schwesterntracht knisterte wie trockenes Laub. »Dann erzähle ich Ihnen alles.«
*
Professor Taddäus M. Reinshagen war vor Glück außer sich gewesen, er brachte kaum ein Wort heraus: Zum ersten Mal saßen die beiden wichtigsten Männer des Landes gemeinsam in seinem Büro in der Nachtigal-Klinik von Anecho: der Chef des Kolonialamtes und der Gouverneur persönlich – Richard von Schwemer und Hans-Georg von Doering! Zwischen ihnen saß Charlotte von Doering. Es war kein Höflichkeitsbesuch, obgleich die beiden Männer seinen Honigbranntwein unter Bezeugungen höchster Anerkennung genossen, nein: Sie baten ihn um seine Unterstützung! Es ging um die junge Frau, die hier, in seiner Klinik, arbeiten wollte.
Stolz sprach aus von Doerings Worten, als er sagte: »Was kann ein Vater mehr von seinem Kind erwarten, als dass es in Zeiten wie diesen dem Kaiser und dem Vaterland all seine Tatkraft und seine Fähigkeiten zur Verfügung stellt!« Richard von Schwemer sah, dass seinem Freund und Geschäftspartner Tränen der Rührung in die Augen stiegen. »Meine Tochter möchte den niedrigsten der Untertanen seiner Majestät ihren Dienst erweisen, sie möchte den schwarzen Kindern dieses Landes, die medizinische Hilfe benötigen, zur Seite stehen.« Er zog ein großes, weißes Taschentuch hervor und schnäuzte sich.
Professor Reinshagen nickte ergriffen. »Nein, mehr kann ein Vater wahrlich nicht erwarten. Ich beneide Sie um diese Tochter, Euer Exzellenz! Und Ihnen, junge Dame, gratuliere ich zu Ihrem Entschluss! Sie werden ihn nicht bereuen. Gerade dieser Vorposten der Zivilisation braucht die Besten des Reiches – Männer wie Frauen! Und es braucht Väter, die …«
»Ja ja«, unterbrach ihn Richard von Schwemer, »das sehen wir genauso. Und ich bin sicher, dass Sie genau der richtige Mann sind, die Tatkraft und den guten Willen der Jugend unseres Landes in die richtigen Bahnen zu lenken.«
Weitere Kostenlose Bücher