Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
der Professor selbst gewesen war, der ihr nach ausgiebigem Genuss seines Honigweins Einblicke in die Gebräuche des Landes gegeben hatte.
»Kennen Sie die Studie von Professor Steuergeld?«, fragte der Assistenzarzt, immer noch empört.
»Nein. Wer ist das?«
»Sie sollten ihn kennenlernen – großartiger Chirurg, Generalarzt der kaiserlichen Schutztruppe der Kolonien! Er hat kürzlich eine Erörterung über die Vor- und Nachteile der Züchtigung des Negers mit dem Tauende oder mit der Nilpferdpeitsche dargelegt. Ich halte beides für Unsinn, wenn Sie mich fragen. Kann man machen, hilft aber nicht viel. Was sie wirklich auf Trab bringt, ist, ihnen den Alkohol vorzuenthalten – und ihre Weiber! Die sind genauso schlimm, die wissen am allerwenigsten, was Arbeit bedeutet. Die haben immer nur das eine im Sinn …« Er ließ den Satz bedeutungsvoll in der Luft hängen. Er widerte Charlotte an.
*
Es waren keine fliegenden Hunde, deren Bekanntschaft Charlotte in Palime machte, es waren Pinselohrschweine. Schon auf dem kurzen Weg vom Bahnhof zur Krankenstation kamen sie ihnen entgegengelaufen. Charlotte war entzückt, als die flinken, rosafarbenen Tiere um ihre Beine liefen, als wollten sie sie begrüßen. »Fassen Sie sie nicht an«, mahnte ihr Begleiter, »sie übertragen die Malaria.«
Die Krankenstation war ein fensterloses Holzhaus ohne Dach,eine Zeltplane schützte es gegen den Regen. Auf dem Boden davor saßen Männer und Frauen und hörten jemandem zu, der in ihrer Mitte stand.
»Oh, mein Gott!«, sagte der Assistenzarzt leise zu Charlotte, »heute ist Palaver-Tag! Da lassen sie sich durch nichts stören, selbst wenn der Kaiser persönlich erschiene.«
Eine erregte Debatte schien entbrannt zu sein. Immer wieder erhob sich jemand und sprach zu den Übrigen, dann ging das Wort auf einen anderen über, Männer und Frauen wechselten sich ab. Es war kein Weißer zugegen.
»Sie reden darüber, ob kranke Frauen, die hier behandelt werden, ihre Kinder mitbringen dürfen«, erklärte der Assistenzarzt. »Die Frauen sind dafür. Wenn sie sich geeinigt haben, werden sie ihren Entschluss der Klinikleitung vortragen, meistens folgt die ihren Anliegen.«
Fasziniert beobachtete Charlotte das Rederitual und bemerkte nicht, dass eines der Schweine neben ihr stand und sich sanft an ihrem Bein rieb. Erst als mehrere der Schwarzen zu ihr hinüberblickten und lachten, wurde es ihr bewusst. Sie errötete und ließ sich von ihrem Begleiter zum Schwesternhaus bringen.
Nach zwei Tagen hatte der Assistenzarzt seine Aufgaben erledigt. »Morgen Mittag fährt der Zug«, sagte er zu Charlotte, »ich hoffe, der Aufenthalt hat Ihnen gefallen. Es tut mir leid, dass ich so wenig Zeit mit Ihnen verbringen konnte. Brauchen Sie Hilfe beim Packen?«
»Ich werde bleiben«, entgegnete Charlotte, »ich habe bereits alles mit der Schwester Clara besprochen. Sie ist froh, eine zusätzliche ausgebildete Krankenschwester hier zu haben, wenn es schon keine Ärzte gibt.«
Er sah sie verblüfft an. »Aber – ich stehe im Wort, Sie wohlbehalten zurückzubringen!«
»Machen Sie sich darüber keine Gedanken, ich habe alles mit meinem Vater und dem Professor besprochen. Es wird keine Probleme für Sie geben.«
Er sah sie skeptisch an und schien nachzudenken, als er auf einmal einen Schritt zurücksprang. »Da ist es ja schon wieder!«,rief er und zeigte auf das Pinselohrschwein, das neben Charlotte aufgetaucht war.
»Ja, wir haben uns angefreundet«, lachte sie. »Es weicht nicht von meiner Seite.«
Charlotte blieb drei Monate in Palime. Die Zutraulichkeit der Schweine, vor allem die der Sau, die ihr kaum von der Seite wich, ließ sie das Vertrauen der Eingeborenen gewinnen. Die Frauen suchten ihre Nähe, erlaubten ihr, ihre Kinder auf den Arm zu nehmen und brachten ihr Geschenke.
»Die Stimmung war noch nie so gut«, sagte Pater Gregorius, der Leiter der benachbarten Mission, eines Tages zu Charlotte bei einem seiner wöchentlichen Besuche. »Wie mir Schwester Clara sagt, liegt das wesentlich an Ihnen. Sie scheinen ein besonderes Händchen zu haben für die Menschen hier!«
»Das weiß ich nicht«, entgegnete Charlotte, »braucht man das? Es sind Menschen, das ist alles.«
Er sah sie nachdenklich an und sagte dann: »Wenn Sie irgendwann einmal woanders arbeiten möchten – wenden Sie sich an mich. Es wäre mir eine Freude, Sie an eines unserer Spitäler zu vermitteln. Denn Schwester Clara hat mir außerdem erzählt, dass Sie eine hervorragende
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