Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
Vom Netzwerk:
unter Jubel das Rednerpult erklomm.
    Aber es hatten sich beinahe ebenso viele Menschen eingefunden, um die Demonstranten zu beschimpfen, bereits der Weg zum Potsdamer Platz hatte etwas von einem Spießrutenlaufen: Auf den Gehwegen standen dicht an dicht entrüstete Bürger. Immer wieder kam es zu Handgreiflichkeiten, wenn die Beschimpfungen nicht ausreichten, um die Empörung angemessen zum Ausdruck zu bringen. Vor allem Soldaten waren Zielscheibe des Hasses: Verwundeten und Kriegsversehrten unter den Demonstranten wurde voller Verachtung »Kameradenschweine« und »Feiglinge« entgegengeschleudert. Elisabeth ging dicht neben Robert. »Hör nicht hin!«, sagte sie, »die haben den Verstand verloren! Die haben nichts von dem gesehen, was du erlebt hast. Die wissen gar nicht, worüber sie reden.«
    Eine Tomate flog knapp über ihre Köpfe hinweg und zerplatzte auf einer Schaufensterscheibe. »In diesen Zeiten mit Lebensmitteln werfen!«, rief eine der Frauen, die vor ihnen gingen, und drängte sich aus den Reihen der Demonstranten heraus, um sich auf den Werfer zu stürzen.
    In diesem Moment knisterten die Lautsprecher, die an den Hauswänden angebracht waren, eine Stimme räusperte sich hoch über den Köpfen der Menschen und kündigte den Redner des Tages an.
    Für einen Moment herrschte Stille, dann ertönte die Stimme des Abgeordneten: »Nieder mit dem Krieg! Nieder mit dieser Regierung!«, rief er ins Mikrophon. Seine weiteren Worte gingen im tosenden Jubel der Menschen auf dem Potsdamer Platz unter. Es herrschte ein infernalischer Lärm, der sich noch steigerte, als die Gegendemonstranten – das Deutschlandlied schreiend und heulend vor Wut – sich auf die Demonstranten stürzten und mit Handtaschen und Regenschirmen auf sie einschlugen.
    Mit knapper Not konnten Elisabeth und Robert sich in einen Ladeneingang flüchten, dessen Besitzer gerade die Rollläden herunterlassen wollte.
    »Ich schließe«, sagte er, »sehen Sie das nicht?« Er deutete zur Tür. »Dort geht es hinaus.«
    »Ich bitte Sie, mein Mann ist kriegsversehrt«, sagte Elisabeth, »dort draußen ist es zu gefährlich für ihn. Seine Verletzungen …«
    »Diese Demonstranten«, sagte der Ladenbesitzer und sah Robert mitfühlend an.« »Oh, wie ich sie hasse! Es tut mir leid, bester Mann, dass Sie hier in der Heimat so etwas Ehrloses erleben müssen. Man müsste sie alle an die Front schicken, alle! Dorthin, von wo keiner zurückkommt … darf ich Ihnen etwas anbieten?«
    »Was haben Sie denn anzubieten?«, fragte Elisabeth und sah sich im Laden um. »Oh – Hüte. Und so schöne!«
    Sie ging an den Regalen entlang, ihre Hand strich über die Kreationen aus Samt und Filz. Auf einem roten Samthut, in dem eine Straußenfeder steckte, blieb ihre Hand liegen. »Wirklich geschmackvoll«, sagte sie.
    Der Ladenbesitzer eilte herbei, nahm den Hut aus dem Regal und baute sich vor Elisabeth auf. »Er würde Ihnen wundervoll stehen! Darf ich?«
    Huldvoll senkte Elisabeth den Kopf, der Mann setzte ihr den Hut auf und holte einen Spiegel herbei.
    »Ich wusste es«, sagte er, »er ist wie für Sie gemacht!«
    »Und was kostet er?«, ließ Robert sich vernehmen.
    »15 Mark«, antwortete der Ladenbesitzer. Im selben Moment splitterte die Schaufensterscheibe, ineinander verkeilte Menschen rollten herein und schlugen sofort weiter aufeinander ein. Der Ladenbesitzer heulte auf, ergriff einen Spazierstock und stürzte sich, wild um sich schlagend, ins Getümmel. Robert ergriff Elisabeths Hand und zog sie unauffällig zum Ausgang.
    Als sie auf die Straße hinaustraten, stießen sie auf Polizisten, die Männer und Frauen auf einen Lastwagen schoben. »Das können Sie nicht mit uns machen!«, empörte sich einer, »wir sind keine Arbeiter!«
    Elisabeth zupfte einen der Polizisten an der Jacke und sagte,als er sich zu ihr umdrehte: »Mein Mann ist kriegsversehrt, würden Sie uns wohl bitte sicher zur nächsten Straßenbahn bringen?«
    Der Polizist blickte auf ihren roten Hut, dann sah er Robert an, der sich auf seine Krücke stützte. »Selbstverständlich, Herr Leutnant. Sie hätten nicht in Uniform herkommen sollen. Das ist gefährlich, diese Kriegsgegner sind zu allem fähig. Kommen Sie …«
    Als sie die von Schwemer’sche Villa erreichten, erwarteten die Jungen sie an der Tür. Sie hielten ihnen einen Brief entgegen, der gerade mit der Post gekommen war. Er stammte aus Lagarde.
    *
    Meine liebe Elisabeth! Was ich hier erlebe, kann ich schwer in Worte fassen, ohne

Weitere Kostenlose Bücher