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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
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Elefantenstoßzähne standen hinter dem mächtigen Schreibtisch und rahmten ihn ein wie Portale.
    »Tja, ein bisschen Folklore muss sein«, sagte der Arzt, der Wilhelms Blick bemerkte. »Sonst bräuchte man nicht hierherzukommen. Wissen Sie: Ich liebe Togo! Es bietet alles, was man sich zum Leben wünscht, und noch viel mehr. Das Kolonialamt Ihres Vaters hat ja gerade eine neue Auswanderungskampagne gestartet, ich hoffe, sie wird so erfolgreich wie die vorherige. Damals kamen über 100 Landsleute, um hier ein neues Leben zu beginnen. Überwiegend Frauen übrigens, von denen fast zwei Dutzend hier in meiner Klinik arbeiten. Keine hat es bisher bereut.«
    »Und der Tropenkoller?«, fragte Wilhelm, »ich hörte, Sie haben gerade neue Patienten bekommen, auch aus anderen Kolonien des Reiches.«
    »So so, hat sich das schon herumgesprochen?«, antwortete Reinsberg. »Na ja, das mit dem Koller ist so eine Sache – eine Art Sammelbegriff für alles Mögliche. Ich will ganz offen sein, Sie werden es ja sowieso erfahren, wenn Sie noch etwas länger im Land bleiben: Die meisten Kollerpatienten haben nur ein bisschen zu tief ins Glas geguckt. Und das nicht nur einmal, zugegeben, sonst wären sie nicht hier. Wissen Sie, die Hitze, die Feuchtigkeit, das ungewohnte Essen, das alles überfordert den einen oder anderen schon mal. Ändert aber nichts daran, was ich vorher sagte: Togo ist großartig! Vielleicht sollte man einfach etwas weniger Branntwein ins Land bringen. Obwohl – die Neger brauen auch guten Schnaps, das muss man ihnen lassen. Eigentlich braucht man den Schnaps aus der Heimat gar nicht.« Er kicherte. »Probieren?«
    Er wartete Wilhelms Antwort nicht ab. Er öffnete einen Schrank, nahm zwei Gläser und eine schwere Kristallflasche heraus und stellte sie vor Wilhelm ab. »Das machen sie aus Palmen. Palmwein, wissen Sie?« Er goss die Gläser halbvoll. »Ist aber kein Wein, heißt nur so. Ist ein reiner Schnaps. Prost!«
    Wilhelm war überrascht, wie süß und lieblich es schmeckte, fast wie Tee mit Honig. Reinsberg beobachtete ihn. »Da sehen Sie es!«, rief er erfreut, »es schmeckt nach mehr, nicht wahr? Da kann man niemandem einen Vorwurf machen. Und wenn einer dann hin und wieder bei uns seinen Koller auskuriert, ist alles im Lot. Das wirkliche Problem, das wir hier im Lande haben, ist ein ganz anderes.«
    Der kleine Mann im weißen Kittel war aufgestanden und zog an einer Kordel, die an der Wand hing. Augenblicklich erschien ein Schwarzer in der Tür. »Sag Bescheid, dass die Visite heute etwas später beginnt«, sagte Reinsberg zu ihm. Der Mann verbeugte sich und zog die Tür leise hinter sich zu.
    Reinsberg setzte sich nicht, sondern ging vor Wilhelm auf und ab. »Der Schnaps, die schwarzen Weiber, ein paar Aufständische hier und dort – das ist alles nicht weiter der Rede wert«, sagte er. »Togo funktioniert deshalb besser als alle anderen Kolonien, weil wir die Telegrafen haben. Ich sagte Ihnen ja, dass Ihr Herr Vater mir Ihre Ankunft telegrafiert hat. Sogar bis nach Berlin geht das reibungslos – 5 000 Kilometer! Die Kommunikation funktioniert, und darauf kommt es an. Wenn ich noch daran denke, wie hier jede Mitteilung durch reitenden Boten auf den Weg gebracht wurde – sofern die Löwen ihn passieren ließen. Sie dürfen nicht vergessen: Ein paar Meter hinter unseren Siedlungen fängt ihr Reich an: Löwen, Schlangen, Leoparden, Krokodile. Aber jetzt liefern wir ihnen kein Abendessen mehr, unsere Nachrichten schnurren über ihre Köpfe hinweg. Es wurden sogar schon Löwen gesichtet, die sich unter die Telegrafenmasten legten und auf Fressen hofften.« Er lachte schrill und klatschte in die Hände.
    Dann wurde er ernst und trat nahe an Wilhelm heran. »Wilde Tiere sind es nicht mehr, es sind jetzt wilde Zweibeiner, die unsere Kommunikation beeinträchtigen. Sie behindern unseren Bahnverkehr und den weiteren Ausbau des Telegrafennetzes. Sie wissen zwar nicht, warum sie das tun, aber der Franzmann bezahlt sie gut dafür. Er erlaubt ihnen, die Dörfer unserer Neger zu überfallen, ihre Kinder als Sklaven zu verschleppen und ihre Frauen zu rauben. Tja, die netten, kultivierten Franzosen, unsere lieben Nachbarn vom Rhein …«
    »Ich habe davon gehört«, sagte Wilhelm, »und was soll dagegen unternommen werden?«
    Professor Reinsberg beugte sich verschwörerisch zu ihm herunter und raunte: »Es ist jemand unterwegs, der das Problem lösen soll. Vielleicht ist er sogar schon hier. Jemand aus der Heimat,

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