Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
ich weiß nicht wer, keiner weiß das, streng geheim! Aber es heißt, dass der Franzmann bald keinen Grund mehr zum Lachen hat.«
Wilhelm wechselte das Thema. »Ihre Klinik hat den Ruf, die beste auf dem schwarzen Kontinent zu sein. Ich bin sehr dankbar, heute hier übernachten zu dürfen. Der Tagesritt war anstrengend.Und ich glaube, Sie sollten Ihre Patienten nicht länger warten lassen.«
»Selbstverständlich, Sie brauchen jetzt Ruhe. Wie unaufmerksam von mir! Eines nur noch: Seit Ihr Herr Vater das Kolonialamt leitet, läuft der Laden. Früher musste man jede Kleinigkeit langwierig beantragen, es dauerte Monate, bis wir ein neues Fieberthermometer bekamen – heute genügt eine Mitteilung per Telegraf. Er ist ein Mann der kurzen Wege, einer, der anpackt. Ich bewundere ihn sehr. Grüßen Sie ihn, bitte, und richten Sie ihm meine unbedingte Loyalität aus. Mein Haus steht ihm jederzeit zur Verfügung, wenn er etwas Erholung brauchen sollte. Und Ihnen natürlich auch.«
Der Regen
Er kam nicht unerwartet, aber überraschend. Wie eine Wand schob sich der Regen Wilhelm und Aiauschi entgegen, die auf dem Kamm des Fetischgebirges entlang des alten Fußpfads von Lomé nach Atakpamé ritten, nachdem sie früh am Morgen die Klinik verlassen hatten. Sie waren seit vier Stunden unterwegs. Zweimal hatten sie unten im Tal die Dampflok vorbeifahren sehen. Wilhelm wunderte sich, dass auf den Waggons und sogar auf der Lokomotive Polizisten mit Gewehren standen. »Die NfO hat Hinweise erhalten, dass Anschläge bevorstehen könnten«, erklärte Aiauschi.
»Die was …?«, fragte Wilhelm.
»Erinnern Sie sich an Major Berndorff von der Besprechung im Arbeitszimmer Ihres Vaters? Er ist der Chef des Nachrichtendienstes für die deutschen Kolonien.«
»Woher weißt du all diese Dinge?«
»Wie schon gesagt: Ich bin der Sekretär Ihres Herrn Vaters, er hat keine Geheimnisse vor mir.«
Der Regen traf sie wie Steinschlag. Der Lärm der Tropfen, die auf das Blätterdach über ihnen trommelten, übertönte jedes andere Geräusch. Aiauschi deutete auf einen schmalen Pfad, dervom Bergkamm abwärts führte, und stieg vom Pferd. Er nahm es am Zügel und ging langsam und vorsichtig den immer glitschiger werdenden Abhang hinab. Wilhelm folgte ihm.
Nach einer halben Stunde mischte sich ein anderes Geräusch mit dem des Unwetters – Wilhelm meinte, das Pfeifen einer Lokomotive heraushören zu können. Er schloss zu Aiauschi auf, tippte ihm auf den Rücken und machte ihn mit einer Geste darauf aufmerksam. Aiauschi nickte. »Schneller«, schrie er Wilhelm ins Ohr, »wir müssen schneller sein!« Er ließ den Zügel aus der Hand gleiten, nahm ein Gewehr aus Wilhelms Satteltaschen und begann zu laufen. Wilhelm tat es ihm nach. Immer tiefer versanken ihre Füße im Matsch, das Laufen wurde von Schritt zu Schritt beschwerlicher, sie stolperten über Äste, die vom Wind heruntergerissen worden waren und am Boden lagen. Wilhelms weißer Khaki-Anzug hatte die Farbe des Schlamms angenommen.
Als er sich gerade wieder nach einem Sturz aufrichtete, sah er sie direkt vor sich: die fauchende Lokomotive. Sie stand neben einem Wassertank. Offenbar hatte sie gehalten, um Wasser nachzufüllen. Auf dem Dach des Führerhauses sowie auf dem Kessel sah Wilhelm durch den dichten Regen verschwommene Gestalten, die offensichtlich miteinander kämpften. Auf den Dächern der Waggons stehend, schossen Polizisten auf anstürmende Männer.
Aiauschi stoppte seinen Lauf. Als Wilhelm neben ihm stand, schrie er: »Man kann sie nicht auseinanderhalten. Wir müssen näher heran!« Im Schutz des Wassertanks näherten sie sich dem Schauplatz: Schwarze Polizisten in weißer Uniform wehrten sich verzweifelt gegen eine Überzahl Schwarzer, die, mit Messern, Äxten und Lanzen bewaffnet, versuchten, den Zug zu stürmen. Ihre Körper waren über und über bemalt, die mit weißer Farbe bestrichenen Gesichter glichen Masken. Hinter ihnen stand ein hochgewachsener Mann und gab Anweisungen. Sein fast nackter Körper war zusätzlich mit Federn beklebt, was ihm das Aussehen eines riesigen bunten Vogels verlieh. An einem Gürtel hingen Totenköpfe rund um seine Hüften. Plötzlich verharrte er in seinen Bewegungen und drehte sich langsam zu Wilhelm um, alshätte er dessen Anwesenheit in seinem Rücken gespürt. Als sich ihre Blicke trafen, wusste Wilhelm schlagartig, wer er war: der Fetischpriester!
Wie hypnotisiert verfolgte Wilhelm, wie der Mann eine Hand hob, in der er einen Speer
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