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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
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erschreckst. An irgendjemanden hast du mich erinnert, als du da durch das Fenster geguckt hast …«
    Es war Friderike, die leise sagte: »An Asta Nielsen, nicht wahr?«
    Helene Bechstein lachte schallend und wandte sich ihrem Chauffeur zu, der am Straßenrand stand und die Tür der Limousine aufhielt. »Das hättet ihr wohl gerne, was?«, rief sie noch, ehe sie elegant in den Wagen glitt – das Wickelkleid schien sie dabei nicht zu behindern.
    *
    Die Straßenbahn hatten sie fast für sich allein. So blätterten sie ungeniert in einer Ausgabe der »BZ am Mittag«, die herrenlos auf einem Platz vor ihnen lag. Immer wieder sahen sie sich verstohlen um, dann steckten sie ihre Nasen in die Seiten: nichts als Berichte über Morde, Missgeburten und Monstren!
    »Und das ist nun die beliebteste Zeitung Berlins«, sagte Elisabeth, »kein Wunder, dass mein Vater sie nicht in seinem Haus duldet.« Mit spitzen Fingern hielt sie das Exemplar hoch und schüttelte sich. »Los, weiter!«, sagte Friderike, und erneut schlugen sie die Zeitung auf.
    Der Lunapark, Europas neueste und größte Vergnügungsanlage, war für einen Werktagnachmittag gut besucht. Vor allem Familien mit Kindern drängten sich vor den Karussellen und Riesenrutschen, den Ständen mit Zuckerbäckereien und dem »Marstall«, wo man für fünf Pfennige eine Runde auf dem Rücken zottiger Ponys reiten konnte.
    Besondere Attraktion war die Völkerschau, für die ein Extraeintrittsgeld entrichtet werden musste. Dafür bekam man dann in eingezäunten Gehegen Indianer zu sehen, die um einen Totempfahl tanzten, Eskimos, die aus Seehundknochen Pfeilspitzen schnitzten und Afrikanerinnen, die Tonkrüge auf den Köpfen trugen und nur mit einem Rock bekleidet waren. »Dass so etwas erlaubt ist!«, empörte sich ein beleibter Herr mit Riesenschnauzbart. »Wenn das der Kaiser wüsste!« Wütend stapfte er davon.
    »Vermutlich sieht er so etwas ganz gern!«, sagte Friderike plötzlich so laut, dass alle Umstehenden es hören konnten. Der Mann blieb abrupt stehen. »Oder glauben Sie diese bösen Gerüchte, dass unser Kaiser eher Herren bevorzugt?«, fügte sie hinzu.
    Der Mann schnellte erstaunlich behände herum und starrte Friderike feindselig an. Sein Kopf wurde puterrot, er ruderte mit den Armen und versuchte, Worte herauszubringen.
    »Also nicht«, sagte Friderike ungerührt, »ich kann es mir, ehrlich gesagt, auch nicht vorstellen. Was soll denn an Männern reizvoll sein …?«
    Damit hakte sie Elisabeth unter, und die beiden wandten sich zum Gehen. »Flintenweiber!«, hörten sie noch, als sie um die Ecke bogen und in Richtung auf das Varieté gingen.
    »Die neuesten Lustmorde!«, stand auf dem Plakat vor dem Kassenhäuschen des Varietés. Sie blickten sich fragend an, und Elisabeth sagte: »Dann lieber die Frau ohne Unterleib«, und zeigte auf das Zelt gegenüber, als eine Stimme hinter ihr sagte: »Lohntnicht. Die tun nur so, als ob sie sie zersägen. Hinterher steht sie wieder ganz heil auf der Bühne.«
    Es war Luise, die ihren freien Nachmittag hatte. Sie war bei einem jungen Burschen eingehakt, der Zimmermannskleidung trug. »Das ist die Tochter meiner Herrschaft«, sagte Luise zu ihm, und zu Elisabeth: »Das ist Otto, mein Bruder.« Dabei tippte der junge Mann an seine Mütze und zog Luise davon. »Einen schönen Nachmittag noch«, sagte er.
    »Wer war das denn?«, fragte Friderike, als sie den beiden hinterhersahen.
    »Unser Hausmädchen.«
    »Und du meinst, sie hält dicht?«
    »O ja, das glaube ich schon. Denn das erwartet sie auch von mir. Warum haben wir eigentlich noch keine Zuckerwatte gehabt? Deshalb sind wir doch den weiten Weg hierhergekommen!« Sie zog Friderike zu einem bunt bemalten Häuschen, vor dem eine Gruppe Kinder stand und sich die klebrige Masse in den Mund stopfte.

Blessuren
    Wilhelm hatte sich auf die Regimentsübung gefreut. Die Weite der Teltower Heide in der Mark Brandenburg, Übernachten im Zelt, eine Woche auf dem Rücken der Pferde – er mochte das Leben draußen im Freien. Umso mehr langweilte ihn allerdings das Exerzieren in den altertümlichen Uniformen. Überhaupt die Uniformen: Gerade hatte die Reichswehr einheitlich graue Uniformen für alle Waffengattungen ausgegeben – mit Ausnahme der Husaren. Sie blieben die Paradiesvögel. Wenngleich die Husaren in der Öffentlichkeit nach wie vor hohen Respekt genossen, machte man sich insgeheim über die Männer in den bunten Uniformen lustig. »Wir sind eben ein Stück lebendige

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