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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
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maßlos und – gierig. Und nur ein paar Straßen weiter gibt es Familien, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder satt bekommen sollen.«
    Ein dezentes Händeklatschen unterbrach sie, Charlottes Vater stand neben ihnen auf der Tanzfläche, verbeugte sich und sagte zu Wilhelm: »Wenn ich um den nächsten Tanz mit meiner Tochter bitten dürfte? Wer weiß, wie lange ich dieses Privileg noch genießen darf. Ich habe Ihnen auch adäquaten Ersatz mitgebracht …«
    Und damit trat Helène auf Wilhelm zu, nahm Tanzhaltung ein und sagte in die wieder einsetzende Musik hinein zu ihrem Sohn: »Ein bisschen beneide ich Charlotte, das kann ich nicht leugnen. Ein Held und obendrein ein guter Tänzer – das ist nicht alle Tage zu haben …«

Hosen
    Elisabeth konnte die Tränen nicht halten. Mit dem Taschentuch wischte sie sich immer wieder den Blick frei auf die große Leinwand im »Tauentzien Palast«, dem neuesten und größten Lichtspielhaus Berlins. Sie hatte lange mit sich gerungen, ob sie der Einladung der Frauengruppe folgen sollte, sich gemeinsam den neuen Asta Nielsen-Film anzusehen, oder ob das Risiko zu groß seinkönnte, dabei entdeckt zu werden. Wenn ihre Eltern davon erführen, dass sie sich heimlich einen dieser neuen »Hosen-Filme« angesehen hatte – das Donnerwetter wäre in ganz Berlin zu hören.
    Es war nicht nur ein Hosen-Fest auf der Leinwand: Die meisten der jungen Zuschauerinnen waren selbst in Hosen erschienen. »Jugend und Tollheit« – so hieß der Film, in dem das Idol der »neuen Frau« alle Register zog und selbst vor Ungeheuerlichem nicht haltmachte, das Elisabeth den Atem stocken ließ: zwei Frauen, die sich ineinander verlieben. Wie immer in Nielsen-Filmen hatte die zierliche Frau mit den großen Augen und dem noch größeren Herzen viel zu erdulden, ehe es zu einem glücklichen Ende kam. Elisabeth litt mit ihr und war beseelt wie noch nie: Sie hatte den Mut aufgebracht, sich öffentlich mit jenen Frauen zu zeigen, die ihr mittlerweile mehr bedeuteten als ihre eigene Familie. Als die Gruppe nach dem Film vor das Kino trat und das grelle Tageslicht sie blendete, war sie allerdings froh, selbst keine Hose zu tragen. Die feindseligen Blicke der Passanten hätte sie wohl ertragen – aber wenn ihr jemand begegnet wäre, der sie und ihre Familie kannte …
    Sie hatte mit Friderike verabredet, nach dem Kino noch in den Lunapark am Halensee zu fahren mit der neuen Straßenbahn, der ersten mit elektrischer Oberleitung, um dort Zuckerwatte zu essen, die Elisabeth über alles liebte und die es nur auf Rummelplätzen gab. »Wollen wir wirklich damit fahren?«, fragte Friderike, als sie an der Haltestellte standen und in der neuen Kinozeitschrift »In freien Stunden« blätterten, die sie im Kinofoyer gekauft hatten. »Es stand nämlich in der Zeitung, dass man davon krank wird. Und außerdem heißt es, dass es ein großes Vogelsterben geben wird durch die Elektrifizierung der Straßenbahn.«
    Elisabeth hörte gar nicht hin. »Guck mal hier!« Aufgeregt zeigte sie auf eine Stelle in der Zeitschrift. »Asta Nielsen ist nach Berlin gezogen! Wusstest du das?« Sie sah Friderike mit aufgerissenen Augen an.
    »Wenn du so guckst, siehst du aus wie sie«, antwortete Friderike.
    »Wirklich?« Elisabeth drehte sich um und betrachtete ihr Spiegelbild im Schaufenster. Sie blickte hinein und riss die Augen auf. »Meinst du wirklich? Wie Asta?«
    Von innen wurde heftig an die Scheibe geklopft, und Elisabeth zuckte zurück. Ein Verkäufer erschien im Türrahmen und sagte barsch: »Erschrecken Sie unsere Kundinnen nicht mit solchen Grimassen! Was soll denn das?!«
    Jetzt erst sah Elisabeth die Schrift über dem Eingang: Es war das feine Modehaus Drécoll und Béchoff-David. »Entschuldigung«, sagte sie, »ich wollte Ihre Damen nicht düpieren.« Aber dann deutete sie auf eines der hautengen, neuen Wickelkleider, die die Schaufensterpuppen trugen, und fragte: »Können Sie mir bitte noch eines sagen: Wie geht man damit, ohne auf die Nase zu fallen?«
    Der Verkäufer richtete sich gerade empört auf, als eine Kundin aus der Tür kam und Elisabeth direkt ansah. »Das kann ich dir sagen – so …« Und damit ging sie auf Elisabeth zu und zweimal um sie herum. »Und – wie steht es mir?«
    Elisabeth lief knallrot an: Es war Helene Bechstein, die da mit zwei großen Einkaufstüten in der Hand vor ihr stand und grinste. »Keine Sorge, ich verrate deiner Mutter nicht, dass du hier in der Stadt herumläufst und Leute

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