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Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karsten Flohr
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einer Ausnahme: Er durfte den Älteren nicht nur beim Trinken, sondern auch beim Kampf sekundieren.
    Die Trinkpflicht, die in allen Burschenschaften herrschte, machte Wilhelm zu schaffen. »Mein Junge«, sagte der Freiherr, als Wilhelm eines Abends auf seine Fragen nach den Fortschritten des Studiums darauf zu sprechen kam, »du wirst eines Tages voller Stolz darauf zurückblicken, genau wie ich. Vergiss nie: Diese Mitgliedschaft ist die Eintrittskarte in die höheren Kreise, sie ist der Garant deiner Karriere. Denn die Männer, mit denen du dort durch dick und dünn gehst, werden dir dein Leben lang zur Seite stehen. Und umgekehrt.«
    Dem Gespräch mit dem Vater waren die Vorbereitungen auf einen Säbelkampf zwischen dem Doktoranden Adolf Mensing, dessen Sekundant Wilhelm war, und einem Studenten der konkurrierenden »Germania«-Verbindung vorausgegangen. Mensing war angetrunken zum Training erschienen, und es war ein Leichtes für Wilhelm, ihn mehrmals hintereinander auszukontern. »Du solltest den Kampf verschieben«, sagte Wilhelm im Umkleideraum zu ihm, »du bist nicht in Bestform.«
    Mensings Gesicht lief rot an. »Wie redest du mit mir?«, schrie er so laut, dass andere Studenten hinzutraten. »Du hast mir zu sekundieren und sonst nichts!«
    Und damit befahl er ihm, ihm in den »Goldenen Hahn«, dem Stammlokal der »Arminia« zu folgen, wo er sich in kürzester Zeit so betrank, dass er von der Bank fiel. Vorher beschimpfte er Wilhelm lautstark, weil er mit seiner Trinkgeschwindigkeit nicht mithalten konnte. »Ich werde mir einen anderen Fuchs suchen müssen, du unfähiger Dummkopf!«, schrie er.
    Wilhelm wusste, dass dies ein ausreichender Grund gewesen wäre, Satisfaktion zu verlangen. Aber er sah ihn mitleidig an und erwiderte: »Betrunkene können mich nicht beleidigen. Ich hoffe,du bist bis zum Kampf wieder fähig, auf deinen eigenen Beinen zu stehen.«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob es noch dasselbe ist wie zu Ihrer Zeit«, sagte Wilhelm zu seinem Vater. »Das Fechten verkommt immer mehr zu einer Schlägerei, und die Trinkfesten führen das große Wort. Ich kann ihm nicht guten Gewissens bei seinem Kampf sekundieren, ich weiß, dass er keine Chance haben wird. Er trainiert nicht, er säuft nur noch.«
    Der Freiherr seufzte. »Wenn du bloß nicht immer so tugendhaft wärest, mein Junge! Das ist das Einzige, worüber ich mir bei dir Sorgen mache. Komm jetzt, die Gäste werden gleich eintreffen.«
    Richard von Schwemer hatte für diesen Abend die übliche Herrenrunde in sein Whiskyzimmer geladen. Wilhelm kannte alle Anwesenden, bis auf einen. Es war ein stattlicher Herr in Gehrock und Zylinder, Alfred Hugenberg, Vorstandsvorsitzender der Krupp AG. »Ich komme gerade vom Kaiser«, sagte dieser jovial, als er Wilhelm begrüßte, »und auch er weiß, wer Sie sind. Respekt, junger Mann, Respekt!«
    Hugenberg war aus Essen, wo das Unternehmen seinen Sitz hatte, nach Berlin gekommen, um die 100-Jahr-Feier der Krupp-Werke vorzubereiten, bei der der Kaiser die Festrede halten sollte. Die Krupp AG mit ihren fast 50 000 Arbeitern galt als Vorzeigeunternehmen des Deutschen Reiches. Man baute Werkswohnungen, Krankenhäuser, Schulen und sogar eine Badeanstalt für die Arbeiter und ihre Familien. Die Gegenleistung: Die Arbeiter verpflichteten sich, niemals die SPD zu wählen. Hugenberg fügte dem hinzu: »Im Grunde brauchen sie überhaupt nicht zu wählen, die Firma kümmert sich besser um sie, als jeder Staat es könnte. Dafür tun sie, was ihnen befohlen wird.«
    »Womit wir sozusagen beim Thema unserer heutigen Zusammenkunft sind«, griff Freiherr von Schwemer das Stichwort auf, »unsere Kolonien, speziell Deutsch-Südwest. Sie wissen, meine Herren, dass seit der Ausrottung der aufständischen Herero die dortige Landwirtschaft zum Erliegen gekommen ist. Erfreulicherweise haben wir einen neuen Geschäftszweig: Allein im letztenJahr wurden für 50 Millionen Reichsmark Diamanten geschürft – Geld, das unmittelbar unserer Kolonialgesellschaft zugutekommt, denn die alleinigen Schürfrechte besitzen wir. Aber wo verdient wird, gibt es Neider. Wir hatten in den letzten Monaten drei Überfälle auf Diamantentransporte. Es waren Eingeborene, sie konnten gefasst werden. Von ihnen wissen wir, wer in Wahrheit dahintersteckt: wie immer die Franzosen. Aber damit wird bald Schluss sein. Wie der Kaiser gesagt hat: Wir Deutschen sind nicht länger der Amboss der Weltgeschichte, sondern der Hammer. Und wo er niedersaust, bleibt kein

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