Zeiten der Hoffnung: Roman (insel taschenbuch) (German Edition)
Abends auch, aber zu gesellschaftlichen Anlässen wie diesem kam man traditionell in der Kutsche.
Die Bechsteins zählten zu den engsten Freunden der von Schwemers, vor allem wegen der musikalischen Vorlieben der beiden Frauen, was zu gemeinsamen Konzert- und Opernbesuchen der Ehepaare führte. Und natürlich stand ein Bechsteinflügel im großen Salon der Schwemers, ein Gastgeschenk der Freunde. Es hatte den Freiherrn so beeindruckt, dass er alle Gourverneurspaläste in den deutschen Kolonien mit Bechstein-Instrumenten ausstatten ließ – ein willkommener Auftrag für die Klaviermanufaktur, die im harten Konkurrenzkampf mit den Steinwegs lag, die inzwischen in New York produzieren ließen und Steinway hießen.
Alle Mitglieder der Familie Schwemer hatten sich ab 19 Uhr in der Empfangshalle aufgestellt, um die Gäste zu begrüßen. Achtzig wurden erwartet. Die Jungen in Matrosenanzügen, Wilhelm erneut in seiner weißen Ausgehuniform der Husaren, Helène im nachtblauen Abendkleid von Béchoff-David, dem derzeit bevorzugten Modeatelier der Damen der Berliner Gesellschaft, der Freiherr im grauen Frack mit einer weißen Gardenie im Knopfloch. Ungeduldig wandte er sich immer wieder zu seiner Frau und fragte, wo Elisabeth bliebe, die wie üblich für das Ankleiden am längsten benötigte. »Dann muss sie eben entsprechend früher damit beginnen!«, zischte er mit hochrotem Kopf.
Für diesen Abend waren zehn Bedienstete mehr eingestellt worden, die jetzt den eintreffenden Gästen aus den Mänteln halfen, Getränke anboten, Aschenbecher bereithielten. Aiauschi, der alle um einen Kopf überragte, stand nahe beim Eingang und hatte nur die eine Aufgabe, die Gäste mit tiefen Verbeugungen willkommen zu heißen. Er trug einen weißen Anzug, der seine schwarze Haut noch stärker zur Geltung brachte. Er war zweifellos ein Blickfang.
Um halb acht waren alle eingetroffen. Gegen Ende des Defilees kamen die Wichtigen, die Woermanns, Wölbers und Nachtigals, die Großkaufleute, die mit ihren Handelsverbindungen die deutschen Kolonien in Afrika und Asien erst profitabel gemacht hatten. Ihr Rat und ihre Unterstützung waren für das Kolonialamt unverzichtbar, dem der Freiherr vorstand, sie hatten die größten Kenntnisse und Erfahrungen mit den Gewohnheiten und Gepflogenheit der Eingeborenen, besaßen hervorragende Verbindungen zu den Häuptlingen und Stammeskönigen. Ohne sie wären die »Schutzverträge«, die ihre Länder zu Besitztümern des Deutschen Reiches machten, nicht zustande gekommen. Konsul Nachtigal, der Sohn des großen Afrika-Entdeckungsreisenden Gustav Nachtigal, stand hier an vorderster Linie und wurde mit entsprechenden Respektsbezeugungen willkommen geheißen.
Als Letzter traf der engste Geschäftsfreund und Vertraute des Freiherrn ein, Hans-Georg von Doering, Gouverneur der »Muster-Kolonie« Togo, ein großer, aufrecht gehender Mann mit vollem, weißen Haar. An einem Arm führte er seine Frau Emma, am anderen Arm seine Tochter Charlotte. Unter den Gästen hatte sich bereits herumgesprochen, dass Charlotte und Wilhelm die Hauptpersonen dieses Abends sein würden, entsprechend aufmerksam wurde die junge Frau begrüßt. Schüchtern und charmant zugleich nahm sie die guten Worte und Glückwünsche entgegen, immer wieder Blickkontakt zu ihrem Vater suchend, der ihr aufmunternd zunickte. Wilhelm hielt sich dezent zurück, bis alle anderen ihre Aufwartung gemacht hatten, und näherte sich dann langsam seiner künftigen Verlobten, die schon die ganze Zeit nach ihm Ausschau gehalten hatte.
Charlottes natürliche, jugendliche Schönheit schien an diesem Abend zu strahlen. Das brünette, dichte Haar, das sie hochgesteckt trug, wurde von einer Krone zusammengehalten, das cremefarbene, mit Blütenapplikationen versehene Kleid ließ ihre Schultern frei, die Hände und Unterarme steckten in weißen Seidenhandschuhen. Ihr zartes Gesicht mit den lebhaften, dunklen Augen war vor Aufregung gerötet. Sie senkte den Kopf ein wenig, als sie Wilhelm auf sich zukommen sah, der in respektvollem Abstand vor den dreien stehen blieb, zunächst den Vater willkommen hieß, dann die dargebotene Hand der Mutter an die Lippen führte – natürlich ohne sie zu berühren – und sich schließlich Charlotte zuwandte und sich vor ihr verbeugte.
Er wusste, dass aller Augen auf ihm ruhten, umso erstaunter war er selbst über die Ruhe und Gelassenheit, die er verspürte, als er Charlotte mit den Worten begrüßte: »Ich weiß, dass dieser Abend
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