Zeitenlos
Situation weniger um mein eigenes Wohlbefinden, sondern dachte vor allem an Wes und wie er sich in diesem Moment um mich sorgen würde.
Er war gerade so viel lockerer und zuversichtlicher geworden, dass ich nicht sobald sterben würde. Und jetzt saß ich hier, in einem mir unbekannten Raum, und wartete auf die Rückkehr eines Fremden, der nur meinen Tod planen konnte.
Als ich hörte, wie sich zu meiner Rechten eine Tür öffnete, überlief mich ein Schauer. Ein schwacher Lichtschein breitete sich auf dem Boden aus. Eine dunkle Silhouette, die sich mir näherte, verdeckte die Quelle des Lichts. Ich schaute weg, wusste aber ohne jeden Zweifel, dass dies der Augenblick war, in dem ich um mein Leben fürchten musste. Die Gestalt kam langsam näher. »Ich sehe, du bist wach, Lenny.«
Weil ich viel zu viel Angst hatte, in das Gesicht meines Kidnappers zu sehen, hielt ich den Kopf gesenkt.
Die Stimme reagierte mit einem süffisanten Unterton auf mein Schweigen. »Was ist los? Hast du gar nichts zu sagen?«
Ich schüttelte den Kopf und bemühte mich mit geschlossenen Augen, alle Gedanken daran, was wohl mit mir geschehen würde, auszublenden. Der Mann, der mich entführt hatte, kniete sich vor mir hin. Er strich mir das Haar aus den Augen, die ich weiterhin fest zupresste. Belustigt kicherte er.
»Vielleicht hörst du ja nicht auf Lenny. Hmm … vielleicht auf einen anderen Namen?«
Ich hielt die Augen geschlossen und drückte mein Kinn auf die Brust, um dem üblen Geruch von Nikotin zu entgehen, den er verströmte. Mein Magen begann zu rebellieren. Was lief hier ab? Wer war dieser Typ? Eigentlich wollte ich das gar nicht wissen. Ich schenkte ihm weiterhin keine Beachtung.
»Immer noch keine Antwort? Auch gut. Ich bin ganz sicher, dass du demnächst etwas zu sagen haben wirst.«
Er ging um meinen Stuhl herum und achtete darauf, dass er mich ständig mit irgendeinem Körperteil berührte. Ich glaube nicht, dass ich bei diesen Runden auch nur einmal geatmet habe.
»Schau mal, ihr glaubt doch, dass ihr mich alle zum Narren gehalten habt, aber ich bin euch auf die Spur gekommen.« Er umkreiste den Stuhl erneut. »Ihr glaubt, in dieser Welt alles machen zu können, ohne dass es irgendwelche Konsequenzen für euch hat.« Er blieb vor meinem Stuhl stehen. »Und das Schlimmste daran ist, dass ihr niemanden an eurer kleinen ›Entdeckung‹ teilhaben lassen wollt. Das ist nicht nett, Lenny.«
Seine Hand griff grob nach meinem Kinn. Ich versuchte, den Kopf zurückzuziehen.
»Ach, komm schon, Lenny. Möchtest du das nicht wieder gutmachen?«
Ich wollte all die schrecklichen Gedanken, die mir durch den Kopf schossen, verdrängen, mir einreden, dass er weggehen würde, wenn ich ihn nur lange genug ignorierte. Er beugte sich herab, bis er sich auf Augenhöhe mit mir befand.
»Komm schon, Lenny. Wo bleibt denn da der Spaß an der Sache? Ich fände es nett, wenn du etwas sagen würdest. So was wie ›Lass mich in Ruhe!‹, ›Tu mir nichts!‹ oder zumindest ›Wer bist du?‹«
Ich überhörte seine Worte, stellte mir vor, ich führe wieder mit meinem Wagen, so als wäre dies hier nie passiert. Ich spürte, dass er die Geduld verlor. Und dann kam der Schock, als er ganz plötzlich tief Luft holte und mir beim Ausatmen ins Gesicht brüllte: »Wie wär’s mit ›Wer bist du‹?« Inzwischen zitterte ich am ganzen Körper und versuchte verzweifelt, nicht unkontrolliert in Tränen auszubrechen. Noch etwas lauter brüllte er: »Frag schon!«
Ich zuckte zusammen und fragte mit schwacher, krächzender Stimme: »Wer sind Sie?«
Er stand erregt auf. »Das ist schon besser!« Dann ging er wieder um den Stuhl herum. Nach einigen Runden meinte er: »Du hast mich beleidigt, weil du mich nicht erkannt hast. Mal sehen, ob ich da nicht etwas nachhelfen kann.« Er ging zur Tür und machte das Licht an. Meine Augen waren immer noch geschlossen, dennoch merkte ich den Unterschied.
»Los, komm schon, Lenny. Sei doch nicht so schüchtern. Mach die Augen auf. Jetzt kommt doch die Hauptsache.« Ich war so gelähmt vor Angst, dass ich ihm unmöglich gehorchen konnte. Deshalb hetzte er zurück zum Stuhl und riss meinen Kopf hoch, sodass ich aufschauen musste. »Jetzt mach die Augen auf!«, befahl er.
Ich wollte weinen, aber in diesem Augenblick wusste ich, dass er noch gewalttätiger werden würde, wenn ich nicht mitspielte. Ich blinzelte mehrmals, um meinen Augen die Chance zu geben, sich an das Licht zu gewöhnen – und mein Herz setzte
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