Zeitenlos
Blick durch meine geschlossenen Lider. Als ich genügend Mut gesammelt hatte, öffnete ich langsam meine Augen, deren Grün das Spiegelbild ihrer Augen war. Ich war sprachlos. Sie schloss die Augen, und eine Träne rollte ihre Wange hinunter.
»Danke«, flüsterte sie, immer und immer wieder. Es war klar, dass sie nicht mir dankte. Ihre Dankbarkeit ging weit über das hinaus, was ich ihr geben konnte.
Eigentlich hatte ich erwartet, dass sie nach einigen Minuten die Augen wieder öffnen und mit mir reden würde, aber sie lag einfach nur da und hielt meine Hand. Sie machte einen ruhigen, zufriedenen Eindruck, und es schien, als reiche ihr meine bloße Gesellschaft aus.
Nach einer Weile merkte ich, dass sie wieder eingeschlafen war. Sie lag ganz friedlich da, und ich sah, dass ihr Haar frisch gebürstet war. Ihre Fingernägel waren gepflegt und in einem hellen Rosa lackiert. Es war offensichtlich, dass man sich hier gut um sie kümmerte.
Irgendwann war es an der Zeit zu gehen. Ich löste vorsichtig meine Hand aus ihrem Griff und sammelte leise meine Sachen ein, um sie nicht zu wecken. Damit sie nicht glaubte, sich alles nur eingebildet zu haben, nahm ich meine Halskette mit dem Kreuz ab und legte sie in ihre Hand. Ich hoffte, es reichte aus, um sie von meinem Besuch zu überzeugen.
Es war unmöglich, meine Gefühle zu beschreiben, als ich dort mit ihr zusammen war, denn ich hatte noch nie etwas Vergleichbares erlebt. Auf jeden Fall war ich froh, diesen Besuch gemacht zu haben. Welchen Trost ich ihr auch gegeben haben mochte, sie hatte mir mindestens ebenso viel zurückgegeben. Sie und ihre Reaktion darauf, mich zu sehen, ließen mich begreifen, dass mein Dasein wohl bedeutsamer war, als ich angenommen hatte.
Als ich durch die Lobby zurückging, strahlte ich übers ganze Gesicht, denn ich war stolz auf mich und das, was ich getan hatte. An der Rezeption wurde ich unerwartet von einer Schwester angesprochen.
»Entschuldigen Sie.« Ich blieb stehen und sah sie erwartungsvoll an. »Ein Herr hat nach Ihnen gefragt.«
»Nach mir?«, entgegnete ich überrascht.
»Ja. Er fragte auch, ob er die Dame sehen könne, die Sie gerade besucht haben. Als wir ihm die Zimmernummer nannten, sagte er etwas von einem Notfall und ging.«
»Wie hieß er?«
»Das hat er nicht gesagt.«
Eigenartig. »Und wie sah er aus?«
»Ein älterer Mann, graue Haare.«
Es konnte sich nur um einen Irrtum handeln, aber ich bedankte mich trotzdem.
Als ich in den Jeep stieg, hatte ich zwei verpasste Anrufe auf meinem Handy. Beide waren von Wes. Ich sah auf die Uhr und stellte fest, dass ich länger geblieben war, als ich gedacht hatte. Ich rief ihn zurück, noch bevor ich den Parkplatz verlassen hatte. Als Erstes wollte ich wissen, ob er für ihren Aufenthalt zahlte. Wie ich schon vermutet hatte, traf meine Vermutung zu, und ich war nicht überrascht.
»Danke«, sagte ich.
»Du musst dich nicht bedanken.« Seine Stimme klang ernst.
»Doch, muss ich. Sie wird sehr gut betreut, und wer weiß, wo sie ohne dich gelandet wäre.« Ich dankte ihm erneut, weil er mich auf eine Art liebte, die ich nicht einmal ansatzweise nachvollziehen konnte. Ich konnte es kaum erwarten, ihn wiederzusehen, und dabei war ich erst seit wenigen Stunden weg.
Beim Fahren gab ich ihm eine Kurzfassung meines Besuchs und erwähnte auch den fremden Mann, der nach mir gefragt hatte. Prompt schaltete er den Sorgen-Turbo ein. Angesichts des Schwalls von Fragen konnte ich kaum zwei Worte einwerfen und unterbrach ihn schließlich unhöflich. »Wes, beruhige dich. Ich kenne den Typen nicht. Ich bin sicher, es handelt sich um eine Verwechslung.« Er bestand jedoch darauf, in der Leitung zu bleiben und sich mit mir zu unterhalten, bis ich sicher zu Hause war. Darüber konnte ich mich wirklich nicht beklagen. Seine Stimme brachte immer noch die Schmetterlinge in meinem Bauch zum Flattern. Ich hätte ihm Stunden zuhören können. Selbst wenn er mir aus dem Telefonbuch vorgelesen hätte, hätte ich mich vermutlich nicht beschwert. Trotzdem könnte ich die Fahrzeit auch sinnvoller nutzen.
»Erzähl mir mehr über uns«, sagte ich, um die Stimmung aufzulockern.
»Was zum Beispiel?«
»Ich habe keine Ahnung. Etwas über mich, aus meiner Vergangenheit.«
Er überlegte. »Tja, ich könnte dir davon erzählen, wie ich dich gegen Kaution aus dem Knast freibekommen habe.«
»Bitte? Soll das ein Scherz sein?«
Er lachte. »Das ist mein voller Ernst.«
»Im Leben nicht.«
»Sophie,
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