Zeitenlos
viel grübelte oder ob da tatsächlich Lücken waren, die ich füllen sollte. Hätte ich ihn nicht so gern gehabt, hätte ich vermutlich keinen Gedanken daran verschwendet, aber ich mochte ihn nun mal.
Würde ich an Liebe auf den ersten Blick glauben, dann hätte ich jetzt wohl zugeben müssen, dass ich ihn liebte, aber so weit wollte ich nun doch nicht gehen. Es gab zu viele Rätsel und offene Fragen, als dass ich mir erlauben würde, mich Hals über Kopf in jemanden zu verlieben, der meine Gefühle womöglich nicht erwiderte. Ich wollte alles über ihn wissen und mehr noch, ich wollte verstehen, warum er sich für mich interessierte. Er konnte jede haben, die er wollte. Das ergab einfach keinen Sinn.
An jenem Nachmittag stand ich verunsichert am Rande eines Abgrundes und nahm mir ganz fest vor, die Lücken zu schließen, bevor ich mich auf etwas einließ, das schmerzhaft enden könnte.
Kapitel 6
Fragen
I ch ließ alles, was ich wusste, Revue passieren. Er hatte gesagt, dass sein Vater vor vielen und seine Mutter vor wenigen Jahren gestorben war, sein Onkel im vergangenen Jahr. Meiner Mutter hatte er außerdem erzählt, dass sein Onkel ein renommierter Wissenschaftler gewesen war. Abgesehen von seiner Mutter, nach deren Namen ich zu fragen vergessen hatte, kannte ich also zwei Namen. Also würde ich da ansetzen.
Es war kein schönes Gefühl, hinter ihm herzuspionieren, denn er war immer nur nett zu mir gewesen. Und trotzdem saß ich jetzt hier und stellte Nachforschungen an – aber wenn ich ihn jemals verstehen wollte, musste ich mehr über ihn herausfinden, schlechtes Gewissen hin oder her.
Ich gab den Namen Weston Wilson II . in die Suchmaschine meines Computers ein und erhielt prompt vier Treffer. Der erste war ein Artikel aus dem »California Chronicle«:
19. Juli 2008
Millionenerbe kommt bei Flugzeugabsturz über Australien vermutlich ums Leben
Die zuständigen Behörden haben am Montag die Absturzstelle von Millionär Weston C. Wilson II . gefunden. Berichten zufolge war sein Sohn der Letzte, der ihn beim Start seines einmotorigen, selbst gebauten Flugzeugs vom Typ KR -2 auf einem abgelegenen Flugfeld nahe seinem australischen Wohnsitz gesehen hatte. Ein Sprecher sagte, niemand hätte den Absturz überleben können. Zwar wurde die Leiche nicht geborgen, jedoch wurden in dem verbrannten Wrack des Flugzeugs persönliche Gegenstände gefunden, die Wilson zugeordnet werden konnten. Die Suche nach Überlebenden im Bereich der Absturzstelle verlief ergebnislos.
Wilson galt als Experte für Flugzeugdesign und war in den 80er-Jahren durch seine Förderung des Californian Blood Research Center bekannt geworden. Er hinterlässt einen Sohn.
Ich las den Artikel noch einmal, weil da irgendetwas nicht stimmte. Dort stand, dass er einen Sohn hinterlassen hatte. Damit musste Weston gemeint sein, aber Weston hatte mir erzählt, sein Vater sei vor vielen Jahren gestorben, und dieser Artikel war erst im vergangenen Jahr erschienen. Wes hatte außerdem angedeutet, dass sein Vater vor seiner Mutter gestorben war, aber sie wurde in dem Artikel überhaupt nicht erwähnt. Ich versuchte weitere Informationsquellen zu finden, doch es gab keine anderen widersprüchlichen Angaben. Alle Berichte ähnelten sich.
Ich drehte mich mit meinem Schreibtischstuhl herum und starrte die Wand an. Das ergab einfach keinen Sinn. Er hatte keinen Grund, mich wegen des Todes seines Vaters anzulügen, aber es schien, als habe er genau das getan. Auf der Suche nach einer Erklärung las ich den Artikel noch mehrere Male gründlich, fand aber nichts. Dieser Mann war für mich ein ebenso großes Rätsel wie sein Sohn. Frustriert beschloss ich, nach unten zu gehen. Während ich mir etwas zu essen machte, würde ich noch einmal über die Informationen nachdenken.
Ich wollte Wes nicht weiter nach seiner Familie ausfragen. Dass er vielleicht gelogen hatte, gefiel mir jedoch gar nicht. Ich kam mir albern vor, weil ich ihn so sehr mochte, obwohl ich ihn doch kaum kannte, und ich kam mir auch albern vor, weil ich etwas recherchierte, wovon ich besser die Finger lassen sollte. Schließlich schnüffelte ich ohne sein Wissen ihm und seiner Familie hinterher. Es war nicht so, dass ich ihm wirklich misstraute, aber ich wollte auf Nummer sicher gehen. Schließlich war ich nicht blöd.
Als ich nach unten kam, war meine Mutter in der Küche.
»Schlaue Köpfe haben die gleichen Gedanken«, meinte sie und hielt mir eine Packung Kekse unter die Nase.
Ich
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