Zeitenlos
ihm in die Augen zu sehen und die Antworten zu bekommen, die ich haben wollte. Und was tat ich? Ich starrte auf meine Füße. Mir war klar, dass ich mich wie ein völliger Idiot benahm, aber das war mir egal. Ich wollte alles richtig machen und musste deshalb eine Minute in Ruhe nachdenken; eine Minute, von der ich jede Sekunde brauchte. Ich wollte ihn nicht anlügen und so tun, als ob ich ihm glaubte, ich wollte ihn aber auch nicht beleidigen. Ich wählte meine Worte sehr sorgfältig. »Okay, wie kommst du auf diese Idee?«, fragte ich. Er sah mich an und ließ sich dann neben mir aufs Sofa fallen. Jetzt war er derjenige, der auf den Boden starrte.
»Sophie«, sagte er. »Ich bin schon ziemlich lange auf dieser Welt, und natürlich bin ich nicht allwissend; etwas weiß ich aber ganz genau, nämlich, dass ich schon mal mit dir zusammen war, und jedes Mal hast du mich verlassen.«
»Ich bin nirgends hingegangen. Ich war immer hier. Du bist derjenige gewesen, der mich nicht wollte. Ich bin …«
»Du verstehst mich nicht, Sophie«, unterbrach er mich. »Was ich dir sagen will, ist, dass ich dich zu drei verschiedenen Zeiten geliebt habe. Einmal 1916, dann wieder 1963 und schließlich jetzt … das macht drei.«
Ich sah ihn kurz an und blickte dann wieder nach unten. Mein rechter Fuß begann in einem gleichmäßigen Rhythmus zu wippen, während ich mir durch den Kopf gehen ließ, was Wes gesagt hatte.
Es musste da jemanden gegeben haben, an den ich ihn erinnerte, ein Mädchen, in das er 1916 verliebt gewesen war. »Es tut mir leid«, sagte ich. »Ich wusste ja nicht, dass du jemanden in deiner Vergangenheit so sehr geliebt hast. Es war selbstsüchtig von mir, dass ich …«
»Hörst du mir nicht zu?« Er seufzte. »Ich habe nicht jemanden in der Vergangenheit geliebt, sondern dich. Du warst diejenige, in die ich so verliebt war. Ich erwarte nicht, dass du mir glaubst oder mich verstehst; aus dem gleichen Grund habe ich auch nie versucht, dir das zu erklären. Ich kann dir nur versichern, dass du damals gelebt hast und heute wieder lebst, wie und warum auch immer. Du.« Ich bemerkte, dass er sich stark konzentrieren musste, um in der Gegenwart zu bleiben. »Was ich nicht weiß«, fügte er hinzu, »ist, wie ich das Ende ändern kann. Ich komme einfach nicht heraus aus dieser …« Er verstummte und suchte nach dem passenden Wort. »… Hölle«, beendete er den Satz.
Ich blinzelte, und eine Träne, die ich die ganze Zeit zurückzuhalten versucht hatte, rollte über meine Wange. Wes streckte die Hand aus und wischte sie behutsam weg. »Warum weinst du?«, fragte er.
»Weiß ich nicht«, erwiderte ich. »Ich vermute, dass es mich traurig macht, wenn du das Zusammensein mit mir als Hölle bezeichnest.«
»Nein, Sophie, das meine ich doch nicht. Nicht das Zusammensein mit dir ist die Hölle für mich, sondern dich zu verlieren. Ich möchte das einfach nicht noch einmal durchmachen müssen.«
»Du wirst mich nicht verlieren«, sagte ich. Er schien nicht überzeugt zu sein, war aber deutlich besser drauf. Diese Mischung aus Zurückhaltung und Sorge stand immer noch zwischen uns, aber ich fühlte, wie mir leichter ums Herz wurde. Ob das gut war, war eine andere Sache. Schließlich wollte ich noch mehr Informationen von ihm.
»Wieso weißt du eigentlich, dass ich es bin? Was macht dich so sicher, dass du mich gekannt hast?«, fragte ich leise.
Wes zögerte. »Nun, du bist anders, gleichzeitig aber dieselbe«, sagte er dann. »Als du mir an jenem Tag begegnet bist, meldete sich dieses tief in mir verborgene Gefühl und drängte an die Oberfläche, kaum dass ich dich gesehen hatte. Du hattest so eine unwahrscheinliche Ähnlichkeit, und ich vermutete gleich, dass du es sein musstest. Und dann sah ich deine Kette und …«
»Meine Kette?«
»Ja. Wie viele Leute kennst du, die Schmuck aus Axinit tragen? Es ist eine sehr ungewöhnliche Wahl, das ist dir doch klar, oder?«
»Nein, das wusste ich nicht.« Ich sah auf meine Kette herab. »Ich habe sie in einem Secondhandladen gesehen und sie gefiel mir auf Anhieb.«
»Ich weiß, dass du Axinit-Schmuck magst. Du hast ihn gesammelt.«
»Habe ich?«, fragte ich überrascht, war aber zugleich schon ein bisschen überzeugter.
»Ja, hast du, und deshalb ist es kein Zufall, dass du dir diese Kette ausgesucht hast.«
»Also, du hattest zuerst so ein Gefühl, und dann hast du meine Kette gesehen und wusstest, wer ich war?«, fasste ich zusammen.
»Ich war mir ziemlich sicher,
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