Zeitenlos
aber um mich vollends zu vergewissern, habe ich auf dem Campus auf dich gewartet. Das war, als ich dir all diese Fragen gestellt habe. Danach war ich überzeugt. Ich habe ein gutes Gespür.« Er hielt kurz inne, um sich zu sammeln. »Ich spüre, wenn Menschen glücklich sind, ärgerlich, ängstlich, und ich kann sie mit geschlossenen Augen auseinanderhalten. Dich würde ich überall wiedererkennen.«
»Und warum hast du dich erst für mich entschieden und dann deine Meinung geändert? Was habe ich getan?«
»Du hast gar nichts getan«, sagte er. »Ich war nur zu egoistisch, um mich von dir fernzuhalten. Je näher wir uns kamen, desto stärker wurden die Erinnerungen. Als ich in der Neujahrsnacht fast die Kontrolle über mich verlor, wurde mir klar, wie kostbar die Zeit ist, die ich mit dir verbringe. Und dann holten mich die Erinnerungen völlig ein, und ich wurde den Gedanken nicht mehr los, dass ich dich wieder verlieren würde. Also dachte ich, dass es für uns beide am besten sein würde, wenn ich versuche, diesen Teufelskreis zu durchbrechen.«
»Mit dem Teufelskreis meinst du, dass ich …«
»Du stirbst«, erklärte er gedankenverloren.
Meine Augen weiteten sich, als ich die Tragweite des letzten Wortes begriff.
»Wann?«
»Du bist mit neunzehn gestorben. Beide Male.« Plötzlich spürte ich einen kalten Schauer über meinen Rücken kriechen und fröstelte.
»Ich werde nicht alt?« Ein Gefühl von Traurigkeit durchzog mich bei dem Gedanken, dass ich niemals heiraten oder Kinder haben würde. Was hatte ich davon, wenn ich mich in Wes verliebte und es keine Zukunft für uns gab?
»Es tut mir leid«, sagte er. »Ich wünschte, ich hätte es dir nicht erzählt.«
»Das ist schon okay, ich wollte es ja wissen.« Kaum waren die Worte heraus, war ich mir nicht mehr ganz sicher, ob ich sie auch ernst meinte. Vermutlich schon, schließlich hatte ich wissen wollen, was er dachte. Doch ich hatte keine Vorstellung davon gehabt, dass ihm irgendetwas in dieser Richtung durch den Kopf ging. Die ganze Geschichte war einfach unglaublich.
Das konnte auf gar keinen Fall wahr sein, dachte ich. Ich bin Sophie. Ich bin achtzehn und habe gerade diesen Jungen kennengelernt. Okay, er war nicht wirklich ein Junge, da er ja praktisch unsterblich war. Das stimmte alles, und ich wusste es. Aber wenn dem so war, konnte es vielleicht, nur vielleicht, ebenfalls im Bereich des Möglichen sein, dass er die Wahrheit sagte und ich schon einmal gelebt hatte. Ich musste unwillkürlich den Kopf geschüttelt haben, denn er drückte mich auf einmal fest an sich und wollte wissen, was ich dachte.
Ich erwiderte, dass ich darüber nachdachte, ob er mir die Wahrheit gesagt hatte. Um seine Reaktion abzuschätzen, drehte ich mich so, dass ich ihn ansehen konnte. Seine dunklen Augen blickten durchdringend zurück. Es schien, als würde er einen inneren Kampf ausfechten und sich schließlich geschlagen geben. Seine Stirn berührte meine, als er murmelte: »Ich wünschte, es wäre nicht so.«
»Hast du dich deshalb so unberechenbar und irrational verhalten?«, wollte ich wissen.
»Ich war nicht unberechenbar und irrational.«
»Warst du wohl.«
»Wieso denn?«
»Tja, unberechenbar, weil du in der einen Minute mit mir zusammen warst, in der nächsten ein Date mit einer anderen hattest und dann wieder hinter mir hergeschlichen bist.«
»Darum geht es also«, sagte er grinsend.
Ich ignorierte seinen Einwurf und redete weiter: »Ich will wissen, wie du einerseits so große Angst davor haben kannst, mich zu verlieren, wenn du andererseits mit Blondie spazieren gehst.«
Die Anschuldigung prallte an ihm ab. »Ich wollte, dass du denkst, es sei aus zwischen uns. Das war nur Show.«
»Klar.«
»Wenn ich es dir doch sage. Dieses Mädchen interessiert mich überhaupt nicht. Ich habe sie mir nur ausgeliehen.«
Ich verdrehte die Augen. »Ausgeliehen? Was ist sie, ein Auto?«
»Nein. Aber sie hat einen festen Freund. Wir sind im selben Kurs. Irgendwann habe ich sie gefragt, ob sie mit mir spazieren gehen würde, weil ich jemanden abwimmeln wollte.«
»Na super. Aber du hast viel mehr erreicht. Du hast mich verletzt.«
»Entschuldigung. Mir schien es der einzige Weg, dir klarzumachen, dass ich nicht mehr interessiert war. Ich dachte, wenn wir uns nicht mehr sehen, hättest du eine Chance, dein Leben anders zu leben – und vor allem mit einem anderen Ausgang.«
»Und warum bist du mir überallhin gefolgt?«
»Um sicherzustellen, dass es dir gut
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