Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
herumpickenden Tauben um das Futter. Zwischen den mächtigen Bäumen flitzten Eichhörnchen herum, die auch ihren Anteil wollten. Gleich mehrere der berühmtesten Sehenswürdigkeiten der Stadt waren in Sichtweite: Westminster Abbey, das gigantische Riesenrad London Eye, der Buckingham-Palast. Auf dem Rasen sonnten sich verliebte Pärchen, auf den Bänken ruhten sich Rentner aus, und immer wieder trabten Jogger vorbei. Davon abgesehen bevölkerten natürlich auch Scharen von Touristen die Gegend, vor allem vor dem Palast, den wir bald darauf erreicht hatten. Aber die idyllische Schönheit der Umgebung wurde nicht einmal durch die ungezählten Besucher getrübt. Ich knipste die monumentale, golden in der Sonne leuchtende Siegesgöttin auf dem Victoria Memorial und ging dann mit Sebastiano weiter zum Zaun vor dem Palastgelände, weil ich unbedingt die Scots Guards sehen wollte.
»Was machen wir als Nächstes?«, fragte Sebastiano, nachdem ich ein paar Fotos von den stoisch dreinblickenden Palastwachen geschossen und mich damit abgefunden hatte, dass in absehbarer Zeit wohl leider weder Prinz William noch Kate noch sonst irgendeiner der Royals auftauchen würden.
»Ich weiß nicht«, sagte ich geistesabwesend, denn das ungute Gefühl hatte begonnen, stärker zu werden. Genau in diesem Moment spürte ich das Jucken. Ich rieb mir den Nacken, weil ich zuerst dachte, der Rand von meinem T-Shirt würde auf der Haut scheuern, doch schon während ich das tat, begriff ich, dass es genau das war, was mir schon von jeher eine Heidenangst eingejagt hatte: Das Nackenjucken war eine Art übersinnliche Gabe, die ich schon lange besaß und die sich immer dann meldete, wenn mir von irgendwoher Gefahr drohte. Die Alten hatten mir diese besondere Fähigkeit verpasst, als ich noch klein gewesen war. Ein paarmal hatte dieses Jucken mich schon vor schlimmeren Unannehmlichkeiten bewahrt, aber manchmal setzte es auch quasi erst auf den letzten Drücker ein, sodass ich die brenzlige Situation erst bemerkte, wenn ich bereits mittendrin steckte.
Sebastiano sah, dass ich mich kratzte. »Anna?« Er blieb abrupt stehen, fasste mich bei den Schultern und starrte mich an.
Im nächsten Moment zischte ein Radfahrer an uns vorbei, so dicht, dass er uns um ein Haar gerammt hätte. Was er vielleicht auch getan hätte, wenn wir nicht gerade beide stehen geblieben wären. Sebastiano rief dem Typen ein italienisches Schimpfwort hinterher, dann blickte er mir eindringlich in die Augen. »War es das?«, fragte er angespannt. »Ist es vorbei?«
Ich ließ die Hand sinken und nickte stumm. Tatsächlich hatte das Jucken wieder aufgehört.
Trotzdem blieb eine leise Beklemmung zurück. Eine Art vage Ahnung, dass mich das Jucken vor mehr warnen wollte als bloß vor einem rasenden Radfahrer. Es dauerte eine Weile, bis ich dieses latente Unbehagen näher einordnen konnte.
Es war das Gefühl, beobachtet zu werden.
Ich sprach nicht mit Sebastiano darüber, denn im Laufe des restlichen Tages verschwand das Gefühl, bis ich schließlich davon überzeugt war, dass es bloß eine Nachwirkung von dem ganzen Stress der letzten Nacht gewesen war. Wir klapperten zu Fuß noch ein paar Touristenattraktionen im näheren Umkreis ab – Westminster Abbey, Downing Street Nr. 10, die Horse Guards und Trafalgar Square. Den Platz kannte ich schon, denn da befand sich direkt neben Nelson’s Column das große Zeitreise-Portal, durch das wir vor ein paar Tagen ins Jahr 1813 gesprungen waren, um Mr Turner und seine Bilder zu retten. Die Siegessäule hatte es damals allerdings noch nicht gegeben, obwohl Admiral Nelson die berühmte Seeschlacht gegen die Franzosen bereits ein paar Jahre zuvor gewonnen hatte.
Wir kauften uns ein Eis, setzten uns auf die Umrandung des Brunnens und sahen eine Weile dem bunten Treiben auf dem Platz zu. Ein waghalsiger Typ in karierten Bermudas kletterte auf einen der riesigen Bronzelöwen zu Füßen des Ehrenmals und posierte für seine Freundin, die ihn aus allen möglichen Perspektiven knipste. Im Hintergrund fuhren die doppelstöckigen roten Busse vorbei, Londoner Wahrzeichen, die zum Stadtbild gehörten wie der endlose, niemals abreißende Strom der Touristen. Der Brunnen war umlagert von Leuten, ebenso das Spektakel, das ein Stück weiter von Straßenkünstlern auf riesigen Einrädern aufgeführt wurde. Es wimmelte nur so von Menschen, so ähnlich wie an einem sonnigen Tag auf der Piazza San Marco in Venedig.
Nur ein paar Schritte entfernt befand
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