Zeitenzauber: Das verborgene Tor. Band 3 (German Edition)
sich das Tor. Ich meinte, beim Betrachten der Stelle einen leisen Schauer zu spüren. Aber solange keiner von den Alten es öffnete, war es so gut wie nicht existent. Davon abgesehen wurde es von Außenstehenden nicht mal dann bemerkt, wenn es in Betrieb war. Das war das Besondere an diesen Haupttoren. Man konnte – vorausgesetzt einer der Alten war dabei – mitten am Tag und vor aller Augen hindurchwechseln. Die Menschen drumherum konnten einen zwar verschwinden oder wieder auftauchen sehen, aber es kam ihnen nicht weiter ungewöhnlich vor – sie vergaßen es ganz einfach sofort wieder.
Gerade stand ein verschlafen aussehender Typ mit Rastalocken genau an der Stelle, wo sich das Tor befand, und blätterte müßig in einem Stadtführer, was mich daran erinnerte, dass Sebastiano und ich noch ein umfangreiches Besichtigungsprogramm vor uns hatten.
Da wir nun schon hier waren, hätte sich ein Besuch der benachbarten National Gallery angeboten, denn dort gab es unter anderem auch Bilder von Mr Turner zu bewundern. Aber für einen Marsch durch das weitläufige Museum war ich dann doch zu erledigt, weshalb ich auch sofort zustimmte, als Sebastiano vorschlug, zum Hotel zurückzukehren. Schließlich war morgen auch noch ein Tag.
Am Abend aßen wir in einem indischen Restaurant das beste Hähnchencurry aller Zeiten, und hinterher gingen wir auf einen Absacker in einen Pub am Ufer der Themse. Wir saßen an einem kleinen Tisch am Fenster, tranken Guinness vom Fass und unterhielten uns. Dabei dachte ich, wie seltsam es doch war – jetzt kannten wir uns schon bald vier Jahre, und manchmal kam es mir vor, als müssten wir einander nur ansehen, um zu wissen, was der andere gerade dachte. Trotzdem ging uns nie der Gesprächsstoff aus. Ebenso gut konnten wir aber auch bloß gemeinsam dasitzen und kein Wort sagen, minutenlang, ohne dass uns das Schweigen gestört hätte. Es fühlte sich einfach gut an. Vertraut und richtig.
An diesem Abend war allerdings eher Reden angesagt. Zum Beispiel über Vanessa, die seit Grundschulzeiten meine beste Freundin war. Wir hatten im Abstand von nur zwei Tagen Geburtstag und auch sonst viel gemeinsam, zum Beispiel, dass wir beide immer unfassbar schlecht in Mathe gewesen waren und deshalb gleichzeitig eine Klasse wiederholt hatten. Leider sahen wir uns nicht mehr so häufig, seit ich in Venedig lebte, denn Vanessa war nach dem Abi in unserer beider Heimatstadt Frankfurt geblieben. Sie studierte dort Jura und war todunglücklich, vor allem, seit sie an der Uni einen Typen namens Manuel kennengelernt hatte.
In dem Pub gab es offenes WLAN, und seit wir reingekommen waren, hatte sie mir schon mindestens zehnmal geschrieben und ihren neuesten Beziehungsfrust abgeladen.
»Wieso schießt sie den Typen nicht in den Wind, wenn er sie dermaßen beleidigt?«, erkundigte Sebastiano sich.
»Sie fühlt sich nicht beleidigt, sondern denkt, er hätte ihr bloß die Wahrheit gesagt.«
»Er hat gesagt, sie sei fett!«
»Na ja, sie glaubt ja selbst, sie sei fett.«
»Hat sie zugenommen, seit wir sie das letzte Mal gesehen haben?«
»Nicht, dass ich wüsste.«
»Was hat sie für eine Kleidergröße? Achtunddreißig?«
»Exakt«, stimmte ich zu.
»Na also. Sie ist nicht dicker als du.«
Ich starrte ihn an. »Was genau soll das denn jetzt heißen? Ich habe Größe sechsunddreißig!«
Er machte ein erschrockenes Gesicht. »Damit meinte ich nicht, dass …«
Ich grinste ihn an. »War nur ein Scherz.«
Er erwiderte mein Grinsen auf seine unwiderstehliche Art und ließ den Latin Lover heraushängen. »Für mich kannst du gar nicht rundlich genug sein, piccina . Eigentlich darfst du ruhig noch was zulegen.«
Wir alberten ein bisschen herum, während die nächste Nachricht von Vanessa auf meinem iPhone plingte.
Wäre jetzt gerne bei euch und würde zu eurem nächsten Einsatz mitkommen. Kannst du nicht mal mit diesem einäugigen Typen reden, ob sie vielleicht noch Ferienjobs anbieten?
»Es war definitiv ein Fehler, es ihr zu erzählen«, sagte Sebastiano, der neben mir saß und mitlas.
»Sie ist meine beste Freundin, ich hätte es sowieso nicht mehr ewig vor ihr geheim halten können. Und irgendwas musste ich ihr doch sagen, nach der Sache mit dem Brillantcollier. Sie kennt mich genau, eine Lüge hätte sie auf keinen Fall geschluckt.«
Das Collier hatte Sebastiano nach einem denkwürdigen Abenteuer in Paris aus dem Jahr 1625 mitgebracht. Tragen konnte ich es nicht, weil es viel zu wertvoll und
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